Süden und das grüne Haar des Todes
überall verteilt, aber mein Mann verträgt die Enge nicht mehr. Er sagt, er muss einen offenen Blick haben, sonst erblindet er noch ganz. Manchmal spinnt er ein bisschen.
Heut braucht er aber wirklich seine Ruhe. Ich hoff, Sie kriegen keine Klaustrophobie hier drin.«
»Nein«, sagte Sonja .
Ich blieb nah bei der Tür.
Beim Hereinkommen hatte uns Amalie Bregenz darauf hingewiesen, dass es ihr lieber sei, wenn man sie Emmi nenne, und sie entschuldigte sich dafür, dass sie uns nicht im Wohnzimmer empfangen könne. Nach einer Nacht, in der er nur gehustet und sich mehrmals übergeben habe, entspanne sich ihr Mann Max nun auf der Couch vor dem Fernseher und bitte darum, von niemandem gestört zu werden, auch nicht von der Polizei, wie er ausdrücklich betont habe.
»Manchmal spinnt er ein wenig«, sagte seine Frau da zum ersten Mal. »Nehmen Sies nicht persönlich, bitte.«
Emmi Bregenz war etwa so groß wie ich, hatte breite Hüften, kräftige Hände und Arme, ihre schwarzgrauen Haare waren geflochten und zu einem Dutt gesteckt. Ihre großen dunklen Augen lagen fast verborgen hinter fälligen Wangen und unter ungewöhnlich buschigen Brauen .
»Da bin ich ganz schön erschrocken«, sagte sie und betrachtete das Foto in der zusammengefalteten Zeitung, die sie schon in der Hand gehalten hatte, als sie uns die Tür öffnete. »Diese Frau …« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »… Ich hab sofort gedacht, das ist die Ruth! Wie aus dem Gesicht geschnitten! Sie lachen mich wahrscheinlich aus, weil das ja gar nicht geht. Aber ich hab zu meinem Mann gesagt, das könnt sie sein. Aber dass Sie extra deswegen hergekommen sind …«
»Sie haben Ihre Schwester vor sechzig Jahren zum letzten Mal gesehen«, sagte Sonja Feyerabend. »Damals waren Sie beide junge Mädchen, keine fünfzehn Jahre alt.«
»Freilich!« Kopfschüttelnd ließ sie sich auf den knarzenden Klavierstuhl nieder. Sie passte knapp in die Rundung vor der gebogenen Lehne, die ihre Hüften eng umspannte .
Was uns bei der Begrüßung sofort aufgefallen war und worüber wir uns mit einem schnellen Blick verständigt hatten, war die Ähnlichkeit der Augen und der breiten Nase von Emmi Bregenz mit denen von Babette Halmar und vor allem der Ausdruck von Verschmitztheit um den Mund.
»Wie ist Ihre Schwester Babette gestorben?« Sonja strich ihren schwarzen Wollmantel glatt und ruckte ein paar Mal auf dem Sofa, bis sie ruhig saß. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir erst über andere Dinge gesprochen, vielleicht über diese Wohnung im Stadtteil Lehel, in einem Haus aus der Jahrhundertwende, über Emmis Ehemann Max, über ihre Kindheit mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester, vielleicht über dieses Zimmer, das gleichzeitig einer Rumpelkammer und einem Separee glich. Aber es gehörte zu Sonjas professioneller Disziplin, Vernehmungen so knapp wie möglich zu halten und jeden Anflug von Zeitdiebstahl im Keim zu ersticken .
Darin kannte sie keine Gnade.
Dann musste ich an unser Zusammensein in der vorletzten Nacht denken. Und das wollte ich nicht. Ich wollte nicht, weil mich die Ahnung, die sofort einsetzte, aus der Gegenwart vertrieb.
»Wie meine Schwester gestorben ist«, sagte Emmi Bregenz, »das weiß ich nicht, Frau Feyerabend. Übrigens heißt sie nicht Babette.«
»Bitte?«, sagte Sonja.
»Ihr Name ist Ruth. Ruth Kron. Kron ist mein Mädchenname.«
»Dann täuschen wir uns womöglich alle«, sagte Sonja .
Wir schwiegen.
Nachdem sie sich auf dem Stuhl nach rechts und links gedreht hatte, jedes Mal nur eine Hand breit, die Augen starr auf ein Regal hinter Sonja gerichtet, auf dem vergilbte Bücher mit dicken faserigen Einbänden standen, streckte Emmi Bregenz den Oberkörper, und ihre Hüften schienen die Lehne zu sprengen. Der Stuhl knarzte wieder.
»Meine Schwester und ich …«, sagte sie. Und je länger sie sprach, desto dunkler und wacher wirkten ihre Augen, und ihre Wangen nahmen eine rosige Farbe an. »Wir haben uns eigentlich immer nur gestritten. Nicht gehänselt .
Dass man mal neidisch ist oder was haben will, was die andere hat, oder beleidigt ist, weil die Mutter zu einem ungerecht gewesen ist und zur Schwester gerecht, in den eigenen Augen. Nein, wir haben uns richtig geprügelt . Wie die Buben.«
Ihr Schmunzeln hätte sie sich von dem Foto in der Zeitung abgeschaut haben können.
»Das ging so weit, dass wir uns gegenseitig in die Isar geschmissen haben. Stellen Sie sich das vor! Das war ja lebensgefährlich!«
Sie
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