Süden und das grüne Haar des Todes
würde ich aus der Rolle fallen .
»In manchen Dingen ist die eigen, die Babett.« Anni, die, wie sie Martin beim Abschied zu Protokoll gab, Anita Muck hieß, zog an der Zigarette, atmete genüsslich aus und zeigte auf Martins Schreibblock. »Die hat allen Leuten, bei denen sie den Haushalt besorgte, eingetrichtert, sie sollen immer frische Waren kaufen, nichts Abgepacktes. Das war ihr Spleen. Da können Sie jeden fragen, der mit ihr zu tun gehabt hat, so war die. Und die hat sich bestimmt nicht geändert.« Sie wandte sich an mich. »Bestimmt hat sie nur Toilettenpapier oder so was gekauft . Hab ich Recht?«
Ich sagte: »Ich kann mich nicht mehr erinnern.«
»Sehr schade«, sagte Martin. Manchmal nahm er unser kleines Spiel sehr ernst.
»Haben Sie den Herrn Gabelsberger schon gefragt?«, sagte ich. »Das ist ein enger Freund von Frau Halmar.«
»Hören Sie mit dem auf!« Hastig drückte Anni die Kippe im Aschenbecher aus. »Der ist von niemand ein enger Freund, da können Sie jeden im Ort fragen. Höchstens von manchen Frauen war der ein enger Freund! Bis sie gemerkt haben, was das für einer ist!«
»Was ist das für einer?«, sagte ich .
»Ein ganz Schmieriger. Früher ist der auch bei uns verkehrt, aber als er die Evi angemacht hat, hat der Chef ihn rausgeschmissen. Da täuschen Sie sich aber! Mit der Babett ist der bestimmt nicht befreundet.«
»Ich habe die beiden zusammen gesehen.«
»Das war bestimmt ein Zufall!«
Sie griff sich an die Wange und stand auf .
»Ich müsst jetzt drüben eindecken fürs Abendessen, wir haben eine kleine Gesellschaft heut. Brauchen Sie mich noch?«
»Ich möchte dann zahlen«, sagte ich.
Den anthrazitfarbenen Opel hatten wir am Nordeingang des S-Bahnhofs abgestellt, und ich telefonierte gerade mit meiner Kollegin Freya Epp, als Martin die Tür aufriss und sich hinters Lenkrad setzte.
»Sie überprüft die Vorwürfe gegen Gabelsberger«, sagte ich, nachdem ich den Hörer des Autotelefons aufgelegt hatte. »Von den rumänischen Mädchen gibt es immer noch keine Spur.«
Martin hustete und lehnte sich zurück und blickte in den Rückspiegel. Wie meist saß ich auf der Rückbank in der Ecke hinter dem Beifahrersitz.
»Er hat uns verschwiegen, dass er Babette Halmar am Bahnhof getroffen hat«, sagte ich. »An dem Tag, an dem sie mit der grünen Tasche weggefahren ist. Es gibt einen Zeugen.«
»Okay«, sagte Martin.
»Ich schlage vor, wir warten ab, bis das Foto erschienen ist.«
»Okay.«
Er war müde und angetrunken und roch nach Rauch und Kneipe, und unser Spiel kam mir jetzt lächerlich und über die Maßen sinnlos vor. Und ich sehnte mich nach den Stunden der Unverlorenheit in Sonjas Nähe .
In der Nacht zum Sonntag jedoch passierte etwas zwischen ihr und mir, dessen Bedeutung uns erst viel später klar werden sollte. So ähnlich, wie wir die Wirkung des Fotos, das die örtlichen Zeitungen von Babette Halmar abgedruckt hatten, erst mit Verzögerung begriffen .
Am Montag, dem zehnten April, klingelte gegen halb neun Uhr morgens das Telefon auf meinem Schreibtisch .
Die Anruferin sagte: »Mein Name ist Amalie Bregenz, sind Sie für die verschwundene Rentnerin zuständig?«
»Ja.«
»Da muss ein Irrtum vorliegen«, sagte die Frau am Telefon. »Auf dem Bild ist meine Schwester, und die ist seit dem Krieg tot.«
4
S ie führte uns in ein kleines, mit dunklen, sperrigen Möbeln voll gestopftes Zimmer – antiker Sekretär mit Kerzenhalter, intarsienverzierte Schränkchen, rechteckiger Teakholztisch, vier Stühle mit hohen Lehnen, grau gestrichene Gebetsbank, zwei ausladende Sessel mit Samtbezug, braunes Sofa, darauf eine Wolldecke, Seemannstruhe, zwei Kästchen mit silbernen Klappgriffen – und schob einen Klavierstuhl mit geschwungener Lehne zur Seite.
Durch ein schmales Fenster, vor dem alte Zeitschriften gestapelt waren, fiel Licht, ohne den Raum zu erhellen .
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Amalie Bregenz und deutete auf das Sofa .
»Ich stehe lieber«, sagte ich.
»Sie auch? Ich auch!« Auf ihren schmalen, dezent geschminkten Lippen kräuselte sich ein Lächeln. »Dann wenigstens Sie, bitte.«
»Danke«, sagte Sonja Feyerabend und machte ein erstauntes Gesicht, weil sie weniger tief als erwartet in das Polster sank.
»Wir haben die Sachen kaum benutzt.« Die alte Frau warf einen kurzen Blick in den Wohnungsflur, bevor sie die Tür schloss. »Ein paar stammen noch von meiner Mutter, der Klavierstuhl, die Truhe. Früher hatten wir die Möbel
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