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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Kopf für eine Sekunde in die Richtung ihrer Tochter hob, wechselte sie das zusammengeknüllte Taschentuch von einer Faust in die andere.
    »Das war falsch, was wir gemacht haben«, sagte sie und sah ihren Mann lange an. Ein gleichmäßiges Zittern durchlief ihn. »Jetzt können wir nicht mehr zurück. Jetzt kommt alles raus. Und du musst dich nicht so aufführen!« Übergangslos hatte sie das Wort an ihre Tochter gerichtet, die erschrocken eine Hand aus der Hosentasche nahm. Vermutlich wäre sie einen Schritt zurückgewichen, wenn sie nicht direkt vor dem Büfett gestanden hätte. »Du hast ja keine Ahnung, was wir durchgemacht haben! Hat dich nie interessiert.«
    Anscheinend mit der Absicht, etwas zu erwidern, machte Lore einen Schritt und zeigte mit der Hand auf ihren Vater.
    »Sei still!« Brüsk wischte Emmi Bregenz mit der flachen Hand durch die Luft, als ohrfeige sie einen Unsichtbaren .
    Perplex und mit einem Ausdruck von Ratlosigkeit warf ihre Tochter Sonja und mir einen Blick zu. Seit einiger Zeit rutschte Sonja auf dem Sessel hin und her, vermutlich gemartert von der beklemmenden Stimmung in diesem lichtarmen, möbelschweren Raum. Ich dagegen fühlte meine Anwesenheit sehr angebracht, was wiederum Sonja mir ansah und ihre Gereiztheit noch verstärkte .
    Am liebsten hätte ich ihr die Hand auf die Schulter gelegt oder ihr über den Kopf gestreichelt .
    »Sei bloß still!«, wiederholte Emmi Bregenz in schneidendem Ton. »Es ist jetzt nicht die Zeit für dich zu sprechen!«
    Hätte sie sich in die Höhe gewuchtet, um ihre Tochter in die Schranken zu weisen, wäre ich nicht überrascht gewesen. Vom Dutt bis zu den grauen Filzpantoffeln mit den weißen Bommeln schien ihr Körper von den Lavaströmen der Erinnerung zu kochen. Das Rosige auf ihren Wangen färbte sich dunkelrot, ihr Bauch wölbte sich unter dem Kleid, jeder Atemzug fachte ihre innere Glut an, die seit Jahrzehnten von der Asche ihres Alltags bedeckt gewesen sein musste. Und ihr Mund, so kam es mir vor, spie die Worte über uns alle hinweg .
    »Sei still!« Zum dritten Mal sprach sie ihre Tochter direkt an, mit leiserer Stimme als zuvor, dann fuhr sie mit anschwellendem Groll fort: »Das war unsere Entscheidung, die Entscheidung von deinem Vater und von mir. Und eigentlich war es allein meine Entscheidung, dein Vater war aber einverstanden, von Anfang an.«
    Dem gebrechlichen Alten gelang ein Nicken .
    »Und du hast da nichts zu kritisieren, und jetzt sag ich dir noch was. Familie, das geht nur die Familie an. Ich misch mich nirgendwo ein, und ich kenn viele Familien. Was glaubst du, was wir in der Apotheke für Geschichten gehört haben, oder ich früher im Krankenhaus? Was glaubst du, kriegst du da zu hören, in der Nacht? Ich war immer geduldig, ich hab jedem zugehört, die haben mich gesehen und haben mich angesprochen. Familie, das geht nur die Familie an. Man muss sich um seine eigenen Dinge kümmern, schert sich auch keiner um einen, wenns mal nötig wär. Ist so, hab ich Recht?«
    Sie hatte den Kopf gesenkt, zögerte eine Weile – was den gleichgültigen Regen nicht störte – und hob die Faust mit dem Taschentuch .
    »Denkst du, ich weiß nicht, warum du dich so aufführst? Wie hast du mich genannt? Lügenbiest? Was denkst du denn, wer hier vor dir sitzt? Ich bin deine Mutter, es ist mir gleich, ob du mich respektierst, aber ich verlange, dass du mich nicht beleidigst. Hast du das verstanden?«
    Sie hatte geschrien und musste husten. Dann wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund, schmatzte, und ihr Bauch hob und senkte sich unter dem sich spannenden Kleid. Nachdem sie sich den Mund abgetupft hatte, knüllte sie das Taschentuch wieder zusammen und hämmerte mit der Faust auf die Lehne des Sessels. »Wenn die Frau wirklich Ruth ist, und das weiß ich nicht, heut früh war ich mir sicher, später nicht mehr, noch später wieder und jetzt wieder nicht, wenn diese Frau aber die Ruth sein sollte, dann sag ich dir jetzt was. Hör genau zu!«
    In dem kurzen Moment, in dem Emmi Bregenz, aufgewühlt, mit zuckenden Schultern, einen weiteren Ausbruch vorbereitete, hörte der Regen auf, eingeschüchtert vielleicht oder neugierig die Luft anhaltend .
    »Wenn sie es ist«, sagte sie laut, »dann will ich ihr nicht begegnen! Ich will sie nicht sehen! Und wenn ihre Leiche gefunden wird und ich sie zu Gesicht krieg, dann sag ich: Die Frau kenn ich nicht! Nie gesehen! Auf Wiedersehen! Begreifst du das?« Und lauter als bisher schrie sie zu ihrer

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