Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
Tochter hinüber: »Geht das in deinen Schädel rein? Oder bist du so blöde? Hast du mich verstanden, Lore?«
    »Nein«, sagte Lore Vogelsang mit einer Stimme, die aus den Fernen ihrer Kindheit zu kommen schien. »Ich versteh dich nicht, Mama. Ich weiß nicht, was du meinst? Wovon sprichst du denn? Was bist du so böse?«
    Emmis Stimmenschwall riss das Flüstern gnadenlos mit .
    »Halt doch deinen Mund! Jetzt auf einmal stehst du hier und tust so, als würd dich das alles interessieren. Mach uns doch nichts vor, so verkalkt sind wir noch nicht, dein Vater und ich! Du lebst dein Leben, und wir leben unseres, das war doch dein Wunsch, oder bilde ich mir was ein? So hast du das gewollt. Und ich lass nicht zu, dass …«
    »Warum bist du so böse auf deine Schwester, Mama?« Es klang, als würde Lores Stimme unter der ihrer Mutter hindurchtauchen.
    »Und ich lass nicht zu, dass … Du sollst still sein, sag ich! Hier sprech ich, und sonst niemand! Warum ich böse bin auf Ruth? Frag deinen Vater!«
    In Erwartung einer Antwort drehte Lore Vogelsang den Kopf zu ihrem Vater. Und Max Bregenz nickte. Seine Füße zuckten, das Zittern schüttelte seinen Körper, und obwohl es im Zimmer warm war, dachte ich plötzlich, vielleicht braucht er eine Decke, vielleicht schlottert er vor Kälte. Erst als seine Frau wieder das Wort ergriff, hörte er auf zu nicken.
    »Er hat Ruth gekannt, er hat auch gewusst, wie sie war, was sie manchmal so angestellt hat. Er war auch mal eines ihrer Opfer, er hat sichs gefallen lassen, er war ein gutmütiger Bub. Aber sie hat ihn verpetzt, in der Schule, und der Lehrer, der ein übler Nazikerl war, hat ihr geglaubt, weil sie so hübsch aussah in ihrem geblümten Kleid und Zöpfe hatte und immer gelächelt hat, wenn man sie angesprochen hat. Was glaubst du denn, was das für eine war? Eine Denunziantin!«
    Speichel lief ihr aus den Mundwinkeln, sie wischte ihn hastig ab, ohne das Taschentuch zu benutzen .
    »Prinzessin!« Durch das mickrige Licht schoss Spucke .
    »Sie hat sich bedienen lassen und hat sich bedient! Hat sich bedient, und alle haben sie bedient. Und dann geht sie hin und petzt. ›Der hat mich angefasst, der hat mich da angefasst, da auf den Oberschenkeln, da, genau da!‹ Sie hat die Hand von diesem Nazikerl gepackt, weißt dus noch, Max, sie hat sie genommen und auf ihren Schenkel gelegt. So war die! Ich habs gesehen, ich hab durchs Fenster geschaut, und du hast gesagt, du glaubst das nicht. Du hast immer noch zu ihr gehalten.«
    Nur kurz hatte Emmi sich an ihren Mann gewandt. Danach schleuderte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Tochter entgegen. Und am Büfett krallte Lore Vogelsang eine Hand um den beweglichen Eisengriff einer Schublade und bettelte mit ihrem Blick um etwas wie Verständnis oder mütterliche Nachsicht .
    Und Emmi Bregenz hatte ein Einsehen .
    »Das ist doch letztlich nicht so schlimm«, sagte sie sanft und entfachte um den ausgedörrten Mund ihrer Tochter ein Lächeln. »Kinder tun Dinge, die sie nicht begreifen, die sie als Erwachsene unverzeihlich finden. Als Kinder sind sie frei, der Übermut treibt sie zum größten Blödsinn. Ruth war nie übermütig, sie war berechnend. Wir haben uns dauernd gestritten, wir haben uns an den Haaren gezogen, das hab ich Herrn Süden schon erzählt, wir haben uns gegenseitig in die Isar geworfen, und wenn sie ertrunken wär, hätt ich mich umgebracht. Aber sie hatte noch ein anderes Gesicht. Und das war ein fürchterliches Gesicht, das war nämlich das Gesicht einer Verräterin.«
    Nichts Weiches unterlegte mehr ihre Stimme. Und ihre Tochter begriff die Veränderung sofort, und ihr Lächeln erfror.
    »Wir haben nie rausgekriegt, wo sie das herhatte.« Emmi Bregenz senkte den Kopf. »So war ihr Wesen! Nicht? So war sie, und so hat sie Buben wie Mädchen betrogen und belogen, angeschwärzt und schlecht gemacht. Und wir haben ihr immer verziehen. Nicht? Ja. Warum, weiß ich nicht, meine Mutter hat ihr nicht verziehen, sie hat so getan, aber in ihrem Herzen war sie entsetzt und hatte nicht das geringste Verständnis für ihre Tochter. Fünf Stunden hat Max in der Ecke stehen müssen. Fünf Stunden! Und andere Buben wurden mit dem Stock verprügelt, zwanzig, fünfzig Schläge. Weil sie angeblich den Mädchen unter den Rock gesehen oder heimlich verbotene Bücher gelesen haben, oder sich Filme angeschaut haben. Weil sie sich über den Führer lustig gemacht haben, oder weil sie Obersturmbannführer Schweißkopf Scheißkopf genannt

Weitere Kostenlose Bücher