Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
Minister bei meinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst den Ehrentitel »Schweigser der Nation« verleihen müssen. Denn Sonja sagte in jener Nacht und noch oft danach: »Jetzt schweigst du wieder.«
    Und ich sagte: »Ja, ich schweigse.« Denn ich war ein erwachsener Mann nur nach außen hin. Drinnen, hinter meinem weißen Baumwollhemd und der Hose aus Ziegenleder und der schwarzen Lederjacke, hockte ein Kindskopf. Und der kraxelte in den unmöglichsten Momenten aus mir heraus und stellte mich dar. Und redete für mich. Und schweigste für mich .
    »Ich wollte dich nicht verletzen«, sagte ich .
    »Hast du nicht«, sagte sie.
    »Ich komme morgen zu dir.«
    »Wenn du willst.«
    »Gegen Mittag, wenn du ausgeschlafen hast.«
    Sie sagte nichts .
    Und ich sagte: »Gute Nacht.«
    Und sie sagte: »Ja.« Dann unterbrach sie die Verbindung, und ich drehte den Hörer auf dem Boden wie einen Kreisel .
    Am nächsten Tag fuhr ich zu ihr in den nördlichen Stadtteil Milbertshofen, zu ihrem Appartement in der Kollwitzstraße. Wir tranken Kaffee und aßen Brote und redeten über die Arbeit. Danach spazierten wir durch den Englischen Garten und redeten über die verschwundene alte Frau, deren Adresse in Ismaning Am Englischen Garten 1 lautete. Und wir hielten uns nicht an den Händen. Aber ich sah oft zu ihrer linken Hand hin. Und ich schaffte es nicht, sie anzufassen .
    Ich schaffte es nicht.
    Sonja sagte dann immer weniger. Sie fuhr einen blauen Lancia, und bevor sie einstieg, küssten wir uns auf die Wangen. Ich sah dem Wagen hinterher, bis er verschwunden war. Dann hob ich meine Hand und winkte .
    Was Schweigser in der zerberstenden Mitte ihres Lebens oftmals tun.

10
    » M ach das nicht mehr«, sagte sie im Hof des Dezernats .
    »Ja«, sagte ich.
    In unserem Dienstwagen wartete Konstantin Gabelsberger auf uns. Ich hatte ihn aufgefordert sich reinzusetzen damit ich Sonja unter vier Augen über die Aussagen der Schülerin Tanja informieren konnte. Wir standen unter dem rechteckigen Betonvordach, Regen wehte uns ins Gesicht.
    »Hast du vor, deine merkwürdige Doppelbefragung zu wiederholen?«, sagte Sonja.
    »Vierfachbefragung«, sagte ich. »Ich möchte Emmi Bregenz und Maria Seberg und deren Ehemänner an einen Tisch setzen.«
    »Das klappt nicht.«
    »Vielleicht doch.«
    »Du verrennst dich«, sagte sie.
    Sie schlang ihren Wollmantel enger um sich und zog die Schirmmütze tiefer ins Gesicht. »Warum hast du das getan?«, sagte sie, ohne mich anzusehen, mit gesenktem Kopf, die Hand noch an der Mütze .
    »Es war eine spontane Geste«, sagte ich .
    »War es nicht. Vor einem Zeugen im Dienst!« Sie hob die Schultern, wie um sich gegen den Regen zu schützen .
    »Lass uns fahren, mir ist kalt.«
    »Ich küsse dich nicht mehr im Dienst, versprochen.«
    »Gut«, sagte sie und rannte zum Auto.
    Auf der Fahrt nach Ismaning sprachen wir kein Wort. Ich saß auf dem Beifahrersitz, Gabelsberger auf der Rückbank. Ein paarmal räusperte er sich, sagte aber nichts .
    Trotz der schlechten Sicht jagte Sonja, die darauf bestanden hatte, selbst zu fahren, den Wagen über die Umgehungsstraße, vorbei an grauen, verhangenen Feldern, quer übers flache Land nördlich von München. Sie wartete kaum das Umspringen der Ampel vor der Ismaninger Straße ab, dem verkehrsreichen Autobahnzubringer, und nach zwanzig Minuten erreichten wir das grüne Haus, in dem die Frau wohnte, die für ihre Nachbarn Babette Halmar hieß.
    »Man merkt schon, dass Sie bei der Polizei sind«, sagte Gabelsberger beim Aussteigen .
    »Woran merkt man das?«, sagte Sonja .
    »An Ihrem … Fahrstil, wenn ich das sagen darf.«
    »Bitte sperren Sie die Tür auf«, sagte sie .
    Es kam mir vor, als würde es in Ismaning weniger regnen als in der Stadt und auch wärmer sein .
    »Mir ist kalt«, sagte Sonja, da Gabelsberger mit dem Schlüssel im Schloss herumfriemelte .
    »Jetzt!«, sagte er. »Das Ding klemmt manchmal, das kenn ich schon.«
    Im Flur knipste er das Licht an. Und als Erstes sah ich die hellblaue Jeansjacke, möglicherweise das Geschenk für Tanja.
    »Wären Sie so nett und würden in der Küche warten?«, sagte Sonja .
    »Was genau suchen Sie denn?« Er sah sich um, und ich bildete mir ein, er halte den Kopf ein wenig schief, um zu horchen.
    Ich sagte: »Hat Frau Halmar jemals den Namen Ruth Kron erwähnt? Oder nur den Vornamen? Ruth.«
    »Von dem hat doch das Mädchen gesprochen!«, sagte er und beobachtete Sonja, die im Wohnzimmer das Licht angeschaltet hatte und nun

Weitere Kostenlose Bücher