Süden und das grüne Haar des Todes
Zeit, die es dauerte, hielt ich es für ein Versprechen oder einen Wundverband, der für uns beide reichen könnte.
Aber in der Nacht zum Sonntag, vom achten auf den neunten April, hatte ich nicht nur ihre Wohnung verlassen, ohne ihr eine Erklärung dafür geben zu können, weshalb sie schon genug Grund gehabt hätte, mich mit Schönheitsentzug zu bestrafen. Etwas viel Schlimmeres war geschehen. Ich hatte nicht begriffen, was die Hand auf dem Bettlaken bedeutete, die im mageren Licht der Straßenlampe mattweiß schimmerte .
Sonja schlief noch nicht, sie atmete gleichmäßig mit geschlossenen Augen, erschöpft wie ich lag sie am Rand des Bettes, die Haare fielen ihr ins Gesicht. Und es war warm. Und eine feuchte Schicht bedeckte unsere Körper, Spuren der vergangenen zwei Stunden. Die Luft roch nach unserer Begierde.
Und ich lehnte an der Wand, nackt, ohne Laken, das auf den Boden gerutscht war, und dachte an Martin und den sonderbaren Fall mit der alten Frau. Und da lag die Hand, die Finger leicht gespreizt, schlanke Finger mit Halbmonden an der Nagelwurzel, und ich sah nur die Hand, nicht den Arm, der mich gerade noch umschlungen und gehalten und fester gehalten und inniger umschlungen hatte.
Und auf einmal bewegte sich die Hand. Unendlich langsam kippte sie zur Seite, bis der Daumen den Zenit erreicht hatte, dann senkte sich die Hand zum blassblauen Bettuch und blieb auf dem Rücken liegen, die Finger zuckten und spreizten sich weit auseinander, als müssten sie gleich einen übergroßen Granatapfel in Empfang nehmen.
Und ich sah hin und dachte, wie kräftig die Hand auf einmal wirkt, wie ein Gefäß, das ein schweres Gewicht erwartet. Und ich bemerkte die Linien, von denen ich mir niemals merken konnte, wie sie hießen, und sie kamen mir gleichförmig und bedeutungsvoll vor .
Lange ließ ich meinen Blick auf Sonjas Hand. Und dann krümmten sich die Finger, unmerklich zuerst, dann stärker und schneller, ehe sie innehielten. Und ich lehnte immer noch an der Wand und bewegte mich nicht. Ich wusste nicht, warum. Warum ich nur hinsah, nur zusah und mich nicht vorbeugte.
Und nach einer Minute oder nach fünf Minuten, als ich einen Moment zur Tür geblickt oder die Augen geschlossen hatte, vielleicht waren sie mir auch zugefallen, sah ich, dass da eine Faust vor mir lag, geballt und abweisend und mattweiß wie Elfenbein. Und ich erschrak, und mein Herz schlug.
Und ich beugte mich vor und griff nach der Faust, da zog Sonja den Arm weg und vergrub ihn unter dem Körper wie der alte Bregenz auf der Couch. Meine Hand war auf dem blassblauen Spanntuch gelandet wie ein unförmiges Raumschiff auf einem gottverlassenen Planeten .
»Sonja«, sagte ich leise, aber sie antwortete nicht. Sie atmete leise und gleichmäßig.
Und ich beugte mich über sie und schnupperte an ihrer Haut und in ihren Haaren. Und mein Bauch war mir im Weg. Beim Anblick Sonjas kam ich mir fett und unförmig vor, und ich überlegte, warum sie es immer noch mit mir aushielt. Mir hätte keine sinnlosere Frage in den Sinn kommen können, aber sie blieb wie ein gefräßiges Echo in meinem Kopf.
Später, gegen drei Uhr morgens, rief ich sie an .
»Es spielt keine Rolle«, sagte sie müde, aus weiter Ferne .
»Du kannst tun, was du willst.«
»Ich musste nach Hause«, sagte ich, wieder nackt, im Zimmer, dessen Wände ich gelb gestrichen hatte. »Ich wollte allein sein.«
»Schon recht«, sagte sie. Ihre Stimme klang, als habe sie sie allein am Telefon zurückgelassen, aus Höflichkeit oder aus Versehen, und liege selbst schon wieder im Bett, auf dem Weg in einen unbedeutenden Traum .
»Es tut mir Leid«, sagte ich.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, du bist ein erwachsener Mann«, sagte ihre Stimme .
»Ich kann es dir nicht erklären.«
»Musst du nicht. Gute Nacht.«
»Ich hätte nicht gehen dürfen«, sagte ich .
»Nein«, sagte Sonja. Dann schwieg ich.
Daran erinnere ich mich noch heute genau, wie ich in der Nacht vom achten auf den neunten April am Telefon geschwiegen habe. Mein Talent, mein Fluch. Die Fähigkeit zum absoluten Schweigen. Mörder habe ich damit zum Sprechen gebracht, Verräter und Lügner, mein Publikum auf allen Rängen, sie schrien mir ihre Geständnisse ins Gesicht, sie übergaben sich in mein Schweigen wie in einen Trog, ich brauchte ihn nur noch auszuleeren, meinen Bericht zu tippen und an die Staatsanwaltschaft zu schicken. Statt mir eine goldene Uhr und eine Urkunde zu überreichen, hätte mir der
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