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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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jedes Möbelstück unter die Lupe nahm.
    »Kennen Sie den Namen Emmi Bregenz oder Amalie Bregenz?«, sagte ich.
    Wir beide standen immer noch im Flur vor der halb geschlossenen Küchentür .
    »Ich glaub nicht«, sagte er.
    In der Küche hing ein muffiger Geruch. Ich kippte das kleine Fenster, vor dem eine Schale mit Erde, aus der nichts wuchs, und drei Keramikfiguren standen, zwei Harlekine und ein Maler mit Baskenmütze und Palette .
    »Was hats mit dem Namen Ruth auf sich?«, sagte Gabelsberger. Ratlos war er an der Tür stehen geblieben .
    »Setzen Sie sich doch«, sagte ich.
    »Danke«, sagte er und setzte sich auf den Stuhl gegenüber der Spüle. Im nächsten Moment stand er auf, öffnete den Reißverschluss seines Anoraks, strich sich über die am Kragen verrutschte Krawatte, ohne sie gerade zu ziehen, und setzte sich wieder.
    »Wir gehen davon aus, dass Babette Halmar in Wahrheit Ruth Kron heißt«, sagte ich.
    »Warum denn?« Aufgeregt stemmte er die Hände auf die Oberschenkel und begann, hektisch zu blinzeln.
    Eine Weile sah ich ihm zu. Es gelang ihm nicht, sich zu beruhigen. Er rieb die Hände an der Hose, räusperte sich, wie bei der Herfahrt, als wolle er etwas sagen, und Schweißtropfen rannen ihm über die Schläfen. Er klopfte mit den Schuhen auf den Boden, abwechselnd mit beiden Füßen, in rascher Folge.
    »Möchten Sie ein Glas Wasser trinken?«, sagte ich .
    Aus dem Wohnzimmer hörte ich ein Schaben und Quietschen, wie von einer schweren Holzschublade, die herausgezogen wurde.
    »Das heißt ja, sie ist jemand ganz anderes«, sagte Gabelsberger mit gepresster Stimme. »Ruth Kron. Ist sie Jüdin?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Klingt doch jüdisch, der Name, finden Sie nicht?« Er hörte auf, an seiner Hose zu reiben, und bemühte sich, aufrecht zu sitzen. Möglicherweise hatte er Rückenschmerzen. Unter Stöhnen zog er den Kopf zwischen die Schultern und stemmte die Hände in die Hüften .
    »Nein«, sagte ich.
    »Nein«, sagte er. »Stört es Sie, wenn ich aufsteh? Auf diesem Stuhl halt ichs nie lang aus, das ist ja mehr ein Hocker.« Er stützte sich mit einer Hand auf den Tisch und wuchtete sich in die Höhe. »Ich muss abnehmen. Ich geh zur Massage, aber das hilft immer nur vorübergehend.«
    Schwerfällig drehte er sich einmal im Kreis, dann streckte er den Arm aus und berührte mit den Fingerspitzen die Kühlschranktür. »Ich muss Ihnen was sagen.«
    Zuerst wandte er mir nur den Kopf zu, dann, nach mehreren tiefen, angestrengten Atemzügen, den Rest des Körpers. Und ich hatte den Eindruck, er sacke, seit wir diese Wohnung betreten hatten, immer mehr in sich zusammen. Flüssigkeit tropfte aus seinen Augen, sein feistes Gesicht schien zu schrumpfen und eine gelbliche Farbe anzunehmen. In seinem grauen Anorak und dem grauen Hemd unter der verrutschten Krawatte, mit seinen hängenden Schultern und seiner ruckelnden Motorik hätte er ein Bahnhofsbewohner sein können, der von einem Stehtisch aus den Zügen und den Tagen hinterher sieht und einmal in der Woche ein städtisches Bad aufsucht, um sich etwas Gutes zu gönnen oder überhaupt etwas zu tun. Man hätte ihn nicht für einen Penner gehalten, nur für einen gestrandeten Mann, der die Orientierung verloren hat und seither nach einem Zeichen Ausschau hält, nach einem Hinweis, wo Gott steckte, weil er ihn fragen wollte, wieso dieser im ganzen Universum die Wegweiser abmontiert und den Strom abgeschaltet hat.
    So wie Konstantin Gabelsberger vor mir stand, wankend von den Gewichten des Alters, mit zu viel Vergeblichkeit im Blick, hätte er, wäre plötzlich die Sonne aufgegangen, einen verschrumpelten Schatten geworfen. Und ich musste an Martin denken.
    »Ich möcht mich bedanken«, sagte Gabelsberger und schnaufte. »Dafür, dass Sie bestimmte Sachen nicht erwähnt haben. Das ist nett von Ihnen, sehr rücksichtsvoll . Danke.«
    »Sie meinen die Anzeigen wegen sexueller Belästigung«, sagte ich.
    Ein rötlicher Schimmer färbte seine Wangen. Gabelsberger nickte .
    Ich schwieg.
    Auf der anderen Seite des Flurs kruschte Sonja weiter in Schubläden, ein Rascheln und Klirren drang herüber und zwischendurch ein Laut der Enttäuschung .
    Gabelsberger unternahm einen neuen Versuch, den Rücken zu strecken. »Die Frauen haben mir Unrecht angetan.« Seine Schultern sackten schon wieder nach unten .
    »Belästigung war das nicht, das war ein Berühren. Sie müssen mir das glauben. Und ich bin ja auch nicht verurteilt worden. Der Richter hat mich

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