Süden und das heimliche Leben
ist sehr freundlich.« Polder sank auf den Stuhl, betrachtete den Schlüssel, der auf dem Tisch lag. »Darf ich Ihnen etwas zeigen?« Er griff nach dem Schlüssel.
»Lassen Sie ihn liegen«, sagte Süden.
»Ich leg ihn wieder hin, ich versprech’s. Ich möcht Ihnen nur etwas zeigen, das Ihnen vielleicht gefällt. Sagen wir so: um die Spannung zwischen uns zu lockern. Schauen Sie, bitte.« Er nahm den Schlüssel in die rechte Hand, schloss diese zur Faust, hob beide Arme, legte sie auf den Tisch. Dann schlug er die geschlossenen Fäuste gegeneinander. Als seine Arme wieder auf dem Tisch ruhten, sah er Süden fest an. »Wo, glauben Sie, befindet sich der Schlüssel?«
»Sie sind ein Zauberer.«
»Wo ist der Schlüssel?«
»In der rechten Hand«, sagte Süden pflichtgemäß.
Polder öffnete die rechte Faust: kein Schlüssel.
»Oh«, sagte er und öffnete die linke Faust: kein Schlüssel. Süden neigte den Kopf nach vorn. Bei Zaubertricks wurde er schon als Kind fast besinnungslos vor Staunen. »Keine Sorge wegen Ihres kostbaren Schlüssels«, sagte Polder. Er griff in die Brusttasche seines Hemdes, zog den Schlüssel hervor und legte ihn auf den Tisch. »Sie wirken nicht ganz unbeeindruckt. Obwohl ich Ihnen verraten darf, dass dies noch ein eher einfacher Trick ist. Noch einen, wegen der gegenseitigen Entspannung? Mich entspannt Zaubern vollkommen, auch wenn fünfzig kreischende Kinder um mich herum sind oder ultraneugierige Erwachsene. Zaubern ist wie träumen, jedenfalls für mich. Kommen Sie näher, spielen Sie mit.«
Nach einem Moment ging Süden zum Tisch.
»Sie dürfen sich ruhig abstützen, das macht es noch spannender.«
Süden stützte die Arme auf den Tisch. Aus der Innentasche seines Sakkos holte Polder einen roten Gummiball, knetete ihn und ließ ihn auf der rechten Hand rollen. »Dieser Ball nimmt eine wundersame Reise. Hoffentlich.«
Er schloss beide Hände zur Faust, ließ die Arme sinken, hob sie wieder hoch, kreiste mit den Händen vor Südens Gesicht und stand abrupt auf. Auch Süden richtete sich auf.
»Kein Grund zur Panik, Herr Süden. Hier sind meine Fäuste, in welcher befindet sich der Ball?«
Süden hatte sich bemüht, genau zuzusehen, aber er war sich sicher, wieder nichts von dem bemerkt zu haben, was wirklich vor sich ging. »In der linken«, sagte er.
»Das …«, sagte Polder gedehnt, »… ist nicht ganz korrekt.« Er öffnete die linke Faust, wartete ab, öffnete die rechte Faust. Der rote Ball war verschwunden.
Süden ertappte sich dabei, wie er die zwei leeren Hände anstarrte.
»Das ist jetzt schon ein etwas ausgefeilterer Trick«, sagte Polder. »Aber ich verrate Ihnen, wo Sie den Ball finden.«
Süden hatte nicht die geringste Ahnung. Womöglich trug er ihn aus mysteriösen Gründen irgendwo am Körper.
»Der Ball befindet sich in Ihrer Lederjacke, da auf dem Boden.«
Süden sah hin und wieder zu Polder. »Niemals.«
»Ich hoffe es schwer. Andernfalls müsste ich den Trick in Zukunft aus meinem Programm streichen. Gehen Sie hin, sehen Sie nach.«
Ein Detektiv und ein Zauberer nachts in einer fremden Wohnung, dachte Süden. Nichts, was man seriösen Auftraggebern, die sich jeden Euro vom Mund abgespart hatten, weitererzählen sollte. Er ging zu seiner als Kopfkissen umfunktionierten Lederjacke, kniete sich hin, tastete in den Taschen. In der rechten Außentasche fand er ihn, rot und rund wie vorhin in Polders Hand.
Süden drehte sich um. Die flache Hand traf ihn mitten ins Gesicht. Er kippte nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf auf dem Laminat auf. Es federte ihn eher nicht ab. Der rote Ball kullerte unters Fenster, während Süden hörte, wie der Mann mit dem falschen Namen die Wohnungstür von außen absperrte.
Bis Süden sich aufrappelte, zum Tisch taumelte, um festzustellen, dass der Schlüssel nicht mehr dalag, die Balkontür öffnete und nach unten sehen konnte, war der Zauberer in der Nacht verschwunden. Polder hatte nicht fest zugeschlagen, nur gezielt und im richtigen Moment.
Wütend und beschämt massierte Süden seinen Hinterkopf, atmete die kühle Luft ein und fragte sich zum zehnten Mal, wie der verdammte Ball vom Tisch in seine Lederjacke gelangt war.
Als der Mann vom Schlüsseldienst eine Stunde später die Tür entriegelte und Birgit Hesse reichlich missgelaunt in die Wohnung kam, schaute Süden immer noch seine am Boden liegende Lederjacke an, als wäre sie eine magische Klamotte aus der Kleidertruhe Merlins.
»Ein Trickser«,
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