Süden und das heimliche Leben
Polder.
»Süden.«
»Gut. Und weiter?«
»Mein Name ist Süden.«
»Tatsächlich? Andererseits: Welchen Grund sollte ich schon haben, Ihnen nicht zu glauben? Keinen. Angenehm, Herr Süden. Und Sie schlagen vor, ich soll die Polizei rufen.«
»Unbedingt.«
»Bin mir nicht sicher.« Polder schaute sich um, machte einen Schritt aufs Fenster zu, zuckte mit den Schultern. »Ich hab Sie gefragt, was Sie hier machen, und Sie haben gesagt, Sie suchen jemand. Fragen Sie sich gar nicht, was ich hier mach, Herr Süden? Womöglich bin ich genauso ein Einbrecher wie Sie.«
»Ich bin nicht eingebrochen.«
»Wer weiß das so genau.«
»Rufen Sie die Polizei«, sagte Süden zum dritten Mal.
»Polizei brauchen wir nicht. Auf keinen Fall. Polizei mitten in der Nacht! Das führt nur zu Lärm und lästiger Fragerei. Angenommen, Sie haben einen Schlüssel für diese Wohnung, da stellt sich doch die logische Frage, woher haben Sie den? Denn es handelt sich nicht um Ihre Wohnung, das steht fest.«
»Und nicht um Ihre Wohnung.«
»Das ist noch nicht erwiesen.«
»Wenn es Ihre Wohnung wäre, hätten Sie längst die Polizei gerufen.« Süden überlegte, ob
er
nicht endlich die Polizei rufen sollte, am besten Hauptkommissarin Birgit Hesse.
»Nicht von der Hand zu weisen«, sagte Polder.
»Die Mieterin dieser Wohnung wurde als vermisst gemeldet, das wissen Sie.«
»Das weiß ich nicht.«
In den vielen Jahren bei der Kripo hatte Süden selten einen lausigeren Lügner getroffen als diesen Aki Polder mit der Rotweinfahne. »Da Sie einen Schlüssel zu ihrer Wohnung haben, erinnern Sie sich vielleicht daran, wann Sie die Mieterin zum letzten Mal gesehen haben.«
»Da muss ich nachdenken.«
»Denken Sie in Ruhe nach.«
»Ich denke nach.« Nach einigem Nachdenken sagte Polder: »Das ist länger her, mindestens vier Monate. Kürzer auf keinen Fall, ich bin mir sicher. Sehr sicher. Sind Sie womöglich Polizist? Verdeckter Ermittler, wie das heißt. Weil Sie hier doch so verdeckt und versteckt sind.« Sein Mund buk sich eine Art Lächeln.
»Ich bin Detektiv. Sie haben die Mieterin seit vier Monaten nicht gesehen und kommen jetzt in ihre Wohnung. Zu welchem Zweck?«
»Sie hat mir erlaubt zu kommen.«
»Wann hat sie Ihnen das erlaubt?«
»Grundsätzlich.«
»Grundsätzlich.«
»Grundsätzlich erlaubt«, sagte Polder.
»Sie dürfen jederzeit kommen.«
»Jederzeit.«
»Tag und Nacht.«
»Tag und Nacht.«
»Erinnern Sie sich an den Namen der Mieterin?«, sagte Süden.
»An den Namen muss ich mich nicht erinnern, den weiß ich. Ilka Senner, wer denn sonst? Sie horchen mich aus, Sie glauben, ich weiß, wo sie ist.«
»Ja«, sagte Süden.
»Das ist falsch.«
»Was machen Sie in dieser Wohnung?«
»Ich wollt Ilka besuchen, wir sind seit langem befreundet, sehr gut sogar, sie gab mir einen Schlüssel für ihre Wohnung, weil sie sich verfolgt fühlt, sie hat Angst. Und wir haben vereinbart, dass ich regelmäßig bei ihr nach dem Rechten seh. Und nun hab ich seit mindestens einem Monat nichts mehr von ihr gehört, das hat mich sehr beunruhigt. Heut Nacht war ich mit Freunden unterwegs, wir haben einen Geschäftsabschluss gefeiert, waren in diversen Lokalen, schön war’s, und als ich schon fast zu Hause war, dachte ich, wie aus einer Eingebung heraus: Schau mal nach Ilka. Und hier bin ich.«
»Sie hätten klingeln können«, sagte Süden.
»Hab ich getan, niemand hat aufgemacht, deshalb hab ich den Schlüssel benutzt.«
Süden hatte kein Klingeln gehört, vielleicht hatte er es überhört. Was ihn ärgerte, war sein ausgeschaltetes Handy. Er schaltete es immer aus, eine unerträgliche Angewohnheit, wie seine Chefin behauptete. Heute Nacht gab er ihr recht. Er musste eine Möglichkeit finden zu telefonieren.
Da fiel ihm ein, dass es in der Wohnung keinen Festnetzanschluss gab. Ilka Senner besaß nur ein Handy. Und das lag ausgeschaltet in der Küche, dort, wo sie es wahrscheinlich vergessen hatte.
Und noch etwas bemerkte Süden erst jetzt: Neben der Couch stand keine Stehlampe. Wozu auch, dachte er, wenn hier niemand ein Buch oder eine Zeitung las.
»Wollen wir uns einen Moment setzen?« Polder wies mit dem Kopf zum kleinen Tisch. Dann stellte er fest, dass nur ein Stuhl dastand, und wandte sich zur Couch. »Lassen Sie uns offen reden, Herr Süden. Wir sind beide Eindringlinge, auch wenn ich die Erlaubnis hab, hier zu sein.«
Süden ging zum Tisch und stellte sich vor die Wand. »Setzen Sie sich, ich stehe lieber.«
»Das
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