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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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ein, wer sie war. Das Mädchen aus dem Radlgeschäft in der Schleißheimer. Da war ich oft, besonders in der Werkstatt. Der Vater war wahnsinnig streng zu seinen Kindern, die Mutter auch. Dann ist er gestorben, und die Ilka musste schon als kleines Mädchen Felgen reparieren und Schläuche kleben. Das weiß ich noch, sie hat mir leidgetan. Auf einmal hat der Zeiserl angefangen, von ihr zu erzählen, spontan wahrscheinlich.«
    »Was hat er erzählt?« Süden warf einen Blick zum Kitzbühel-Tisch, wo es still geworden war. Der Mann saß da und weinte.
    Das war nur eine Illusion von Süden. Der Mann tippte eine Nummer und schrie dann: »Servas, Edwin, hast einen Moment …« Offensichtlich hatte der andere einen Moment übrig, oder jemand hielt ihm eine geladene Sig Sauer an die Schläfe und zwang ihn zuzuhören. »Wir ham doch neulich von Kitzbühel gesprochen, ich muss da jetzt mal reservieren …«
    Süden wandte sich ab. Vor den großen Fenstern des Cafés zogen Straßenbahnen vorbei, bogen um die Ecke, und die Räder quietschten. Das Licht war grau. Es regnete.
    »Er hätt sie getroffen«, sagte Gregor Polder. »Er hätt die Ilka auf der Straße gesehen und angesprochen, und sie wären dann auf einen Wein gegangen und hätten von früher geredet. Sie waren ja in derselben Klasse. Zwei Stunden hat er mir davon erzählt. Ich hab ihn nicht drum gebeten. Ich wollt ihn rausschmeißen, schon an der Tür, hab ich nicht hingekriegt. Das passiert mir nie wieder. Nie mehr wieder, das schwör ich Ihnen. Ich lass niemand mehr einfach so rein. Noch dazu so einen wie den Zeiserl. Ich brauch keine Leute.«
    »Ihre Eltern leben nicht mehr im Haus«, sagte Süden.
    »Sind gestorben. Lang her, einundzwanzig Jahre. Ein Unfall. Sie waren mit einem Reisebus in Kroatien, es hat geregnet, der Bus ist aus der Kurve geflogen und in eine Schlucht gestürzt. Acht Tote. Touristen aus Deutschland und Österreich, wie meine Eltern. Ich bin dann in das Haus gezogen. Wusst sowieso nicht, was ich machen sollt. Ich wollt ja mal Filmregisseur werden, ernsthaft. Hab mich auf der Filmhochschule beworben, sie haben mich nicht genommen. Vorbei. Telefonieren Sie eigentlich die ganze Zeit mit dem Handy?«
    »Ja«, sagte Süden.
    »Das ist aber schädlich.«
    »Deswegen wollte ich zu Ihnen kommen.«
    »Das geht nicht.«
    »Warum nicht? Halten Sie Ilka Senner bei sich versteckt?«
    »Nein.« Er hustete wieder. »Ich halte niemanden versteckt, ich bin allein. Wissen Sie, wie ich meinen Lebensunterhalt verdien? Ich schreib Groschenromane, einen nach dem anderen, tolle Sachen, Westernstorys, die Hauptfigur heißt McRing, Jefferson McRing. Der rächt sich im Auftrag von Leuten an Männern, die’s verdient haben zu sterben. Das Beste daran ist, ich muss das Haus nicht verlassen, ich schick das Manuskript per Mail an den Verlag, die schauen es durch, korrigieren ein bisschen und fertig. Ich kann das. Niemand redet mir drein, kein Produzent, kein Redakteur, nur ich. Ich entscheide, was passiert. Früher hab ich ganze Drehbücher geschrieben und an Sender und Produzenten geschickt, keine gemütliche Zeit. Eins hab ich verkauft, sie haben es dann umgeschrieben, egal.«
    »Ich verstehe das nicht«, sagte Süden. »Zeisig hat Ihnen von Ilka erzählt und sonst nichts. Warum hat er das getan?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht war er wirklich in der Nähe und hatte seinen Auftritt und wollt nur Hallo sagen, wär ja denkbar. Wir waren Freunde früher.«
    »Bis zu dem Vorfall im Baumhaus.«
    »Ja.«
    »Sie waren beide damals im Wald, Zeiserl und Sie, allein.«
    »Wir haben das Baumhaus zufällig entdeckt, mitten im Wald, solide Bretter, das weiß ich noch, provisorisches Dach, stabile Leiter, sogar eine Bank zum Sitzen stand drin. Wir sind hochgeklettert, haben uns auf die Bank gesetzt und auf irgendwelche Tiere gewartet. Rehe, Füchse, Wildschweine, obwohl wir ziemlich sicher wussten, dass im Perlacher Forst keine Wildschweine leben.
    Und plötzlich sagt er zu mir, er würd später mal Zauberer werden, ein weltberühmter Zauberer, sie würden Filme über ihn drehen, und er würd in Amerika auftreten, in großen Shows, überall auf der Welt. Ich hab ihn ausgelacht. Er hatte diese hohe Stimme, wie ein Mädchen, das war sowieso schon lustig, wenn er dann versucht hat, ernste Sachen zu sagen, mit wichtiger Miene, ein echter Schlaubauch. Ich hab gelacht, und er hat mir auf die Schulter geklopft und gemeint, mein Lachen sei unangebracht. Das Wort hatte ich vorher noch nie

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