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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Frau verschwinden lassen, und das Publikum staunte. Sogar von der Polizei wurde sie inzwischen gesucht, so gut hatte er sie verschwinden lassen, und von einem Detektiv, der sich in ihre Wohnung geschlichen hatte, wie ein Dieb.
    Er musste an seine Begegnung mit Aki Polder denken, den er damals hatte fliegen lassen.
    Manchmal, dachte er beim Anblick der Zeitung lesenden Frau in seiner Küche, wartete das Leben mit kolossalen Wendungen auf. Man musste nur bereit dafür sein, man durfte sich nicht sträuben, sondern musste den Dingen ihren Lauf lassen. So hatte er die Zeit nach Janines Abschied bewältigt, so hatte er überlebt. Und nun begann seine Zukunft mit Ilka.
    Seine nächtlichen Besuche in dem Lokal, wo sie arbeitete, waren nicht umsonst gewesen. Ilka hatte seine Zeichen verstanden und entsprechend gehandelt. In ihrer Gegenwart würde er wieder auf die großen Bühnen zurückkehren und gemeinsam mit ihr zu neuer Blüte gelangen.
    Er gab ihr einen Kuss ins Haar, das sie frisch gewaschen hatte, worum er sie am Morgen gebeten hatte. Sie reagierte nicht. Die kurze Meldung in der Zeitung schien sie zu faszinieren. Vornübergebeugt, mit zusammengepressten Lippen, las sie den Text immer wieder und fuhr am Ende mit dem Zeigefinger kreuz und quer übers Papier, als wollte sie die Buchstaben ausradieren.
    Belustigt sah Zeisig zu. Seit er in die Küche gekommen war, hatte sie ihm noch keinen Blick zugeworfen. Als er sich auf den Weg zurück in den Flur machte, wo er die Schuhe auszog und sein Jackett auf einen Bügel hängte, sah sie ihm nicht hinterher.
    Erst nachdem er die Tür zum Badezimmer hinter sich geschlossen hatte, richtete sie sich auf, betrachtete noch einmal ihr Foto in der Zeitung und sagte: »Jetzt muss ich alles anders machen.«
     
    Zeisig betrachtete seinen nackten Körper im Spiegel und putzte sich dabei die Zähne. An den Schultern hatte er Narben aus der Kindheit, am Bauch eine Narbe von einer beinahe verunglückten Blinddarmoperation, an den Unterarmen Spuren von Verletzungen, die er sich selbst zugefügt hatte.
    Zum Glück, dachte er oft, zeigte sein Gesicht keine Spuren von Verunstaltungen, abgesehen davon, dass es teigig und bleich war, wie sein ganzer Körper. Falsche Ernährung, zu hoher Alkoholgenuss, er machte sich nichts vor. Aber der Jochbeinbruch war vollständig verheilt, obwohl sie ihm Metallplatten eingesetzt hatten, um die Knochen zu stabilisieren, und er einige Monate mit einem ziemlich verschobenen Gesicht herumlaufen musste. Davon war nichts mehr zu sehen. Trotzdem hatte er Janine die Attacke bis heute nicht verziehen und würde es nie tun.
    Gegenüber der Polizei hatte er sie nicht verraten. Unbekannte, erklärte er, hätten ihn überfallen, beraubt und misshandelt. Sich selbst gegenüber musste er ehrlich bleiben. Er hatte Janine zur Rechenschaft gezogen, später jedoch festgestellt, dass er seinen Zorn nur unwesentlich losgeworden war. Seit einiger Zeit, vor allem, wenn er zu lange vor dem Spiegel stand und die Gedanken des Tages wie Feuerbälle durch seinen Kopf rasten, ertappte er sich dabei, wie er den alten Zorn wieder heraufbeschwor, gerade so, als bräuchte er ihn als Lunte fürs Weitertun am nächsten Morgen.
    Dann neigte er den Kopf vor, bis seine Stirn das Glas berührte, und bildete sich ein, jede Faser seiner linken Wange noch besser erkennen zu können. Das war Unsinn, das wusste er, und er würde auch nichts erkennen, wenn er im richtigen Abstand hinsah. Doch etwas zwang ihn dazu. Etwas in ihm setzte eine solche Vorstellungsmaschinerie in Gang, dass er das Geschehen jedes Mal in allen Einzelheiten vor sich sah. Den dürren Baum unter der Straßenlampe. Die schwarzen, knochigen Äste. Das buttergelbe Licht. Die geparkten Autos. Janines bebenden Körper unter ihrem grauen Wollmantel, ihre speichelnassen schmalen Lippen, ihre unter der Strickmütze hervorstehenden blonden Haare, ihren verhexten Blick, ihre Bewegung, als sie sich bückte und etwas aufhob, einen Pflasterstein aus dem Haufen am Straßenrand. Er sah den quadratischen, handgroßen Stein im Licht der Straßenlampe und die Hand, die ihn umklammerte. Im nächsten Moment spürte er den Schmerz unterhalb der Stirn, und dieser Schmerz breitete sich in seinem Kopf aus und ließ ihn rückwärtstaumeln.
    Noch heute, jetzt wieder, sah er sich rückwärts über den Randstein kippen, genau zwischen die Stoßstangen zweier geparkter Fahrzeuge. Sein rechter Arm ruderte durch die Luft. Er wollte sich an einem Baumstamm

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