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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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auch nicht belästigt werden. Ist das zu viel verlangt von der Menschheit?«
    Das Handy am Ohr, legte Süden einen Geldschein auf den Tisch. Die Bedienung wollte ihm das Wechselgeld geben, aber er schüttelte den Kopf. Auch der Kitzbühel-Fanatiker drei Tische weiter bezahlte, hektisch, das zusammengeklappte Handy in der Hand, und eilte nach draußen, wo der Regen stärker geworden war.
    »Sollte Ilka sich bei Ihnen melden, sagen Sie mir Bescheid.«
    »Wieso sollte die sich melden?«
    »Vergessen Sie nicht, mich anzurufen«, sagte Süden.
    »Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte.«
    »Sie haben mir geholfen.«
    Vor der Tür schlug Süden der Regen ins Gesicht. Innerhalb weniger Stunden war die Temperatur um mindestens fünf Grad gesunken, das Sommerlicht staubgrau geworden. Die Autos fuhren mit eingeschalteten Scheinwerfern, die Passanten stemmten ihre Schirme gegen den Wind.
    Süden rannte über die Straße zur Verkehrsinsel mit dem Wartehäuschen, in dem kein Platz mehr frei war.
    Auf der Fahrt mit der Tram in Richtung Zentrum, umzingelt von trübseligen Gesichtern und Blicken grauer als Regenwolken, überlegte er, ob er für eine Computerrecherche in der Detektei am Sendlinger-Tor-Platz aussteigen sollte. Dann entschied er, bis zur Endhaltestelle zu fahren und zu Hause die Kleidung zu wechseln, die eine Jeans gegen eine andere, das weiße Hemd gegen ein anderes weißes zu tauschen.
    Am Stachus drängten noch mehr Leute in die Straßenbahn. Manche sahen ihn an, als wäre er ein Raubritter, der sich ihren geheiligten Sitzplatz unter den Nagel gerissen hatte, oder als wäre er Petrus oder der stierhörnige Ba’al, deren Wettergeschäfte aus unverständlichen Gründen völlig aus dem Ruder gelaufen waren.
    Bis er schließlich die Scharfreiterstraße erreichte, floss das Wasser aus seinen Schuhen.
    Er duschte, kochte Kaffee, rief in der Detektei an und bat seine Chefin, eine Adresse zu ermitteln.
    »Schlechte Nachrichten«, sagte Edith Liebergesell eine halbe Stunde später am Telefon. »Ein Bertold Zeisig ist in München nicht gemeldet, auch nicht im Landkreis München. Ich hab eine Handvoll Kreisstädte in der Umgebung abtelefoniert, kein Treffer. Entweder er wohnt tatsächlich nicht hier oder anonym. Warum sollte er das tun? Er ist Freiberufler, er braucht Aufträge, er muss erreichbar sein.«
    »Außerdem tauchte er mehrmals nachts vor der Kneipe Charly’s Tante auf«, sagte Süden. »Und er besuchte seinen Schulfreund Polder.«
    »Und er hat dich nachts aus dem Schlaf aufgeschreckt.«
    »Er muss eine Wohnung in der Stadt haben. Hast du bei Google nachgesehen?«
    »Ob ich bei Google nachgesehen habe?« Sie zündete sich eine Zigarette an und inhalierte hörbar. »Was ist das denn für eine Frage? Kauf du dir erst mal einen Laptop, bevor du über so was sprichst. Natürlich hab ich bei Google nachgesehen, sogar bei Facebook, falls du weißt, was ich meine. Die Namen Bertold und Zeisig existieren in dieser Kombination nicht, es gibt einen Georg Zeisig, einen Hans-Dieter Zeisig, alle nicht in der Gegend, der eine in Mecklenburg-Vorpommern, der andere in der Nähe von Oldenburg. Übrigens habe ich in München eine Familie Zeisig ausfindig gemacht und auch dort angerufen, einen Zauberer haben die nicht in ihren Reihen. Der Mann ist ein Phantom.«
    »Er hat sich unsichtbar gemacht«, sagte Süden. »Er hat sich weggezaubert, und Ilka womöglich auch.«
    »Hast du deine Freundin bei der Polizei angerufen? Wir müssen wissen, ob sich auf das Foto in der Zeitung Leute gemeldet haben.«
    »Das mache ich gleich.« Er trank seinen Kaffee, der wie immer kalt geworden war, und schwieg. Der Regen prasselte auf den Balkon – ein Geräusch, dem Süden gern zuhörte.
    »Was ist mit der Mutter?«, fragte Edith Liebergesell.
    »Zu der fahre ich später.«
    »Und die Wirtin verbirgt auch was.«
    Süden sagte: »Die liegen alle auf meinem Weg.«
    »Auf geht’s!«
    Den Anruf bei Hauptkommissarin Birgit Hesse sparte er sich vorerst. Sie würde ihm nichts sagen. Falls Zeugen neue Informationen lieferten, würde sie schnellstmöglich ihre eigenen Ermittlungen voranbringen wollen. An ihrer Stelle hätte Süden sich nicht anders verhalten.
    Dann siegte sein kriminalistischer Urwille. »Ich bin’s«, sagte er ins Handy.
    »Auf deinen Anruf hab ich schon gewartet. Keine Neuigkeiten für dich, Süden.«
    »Nur welche für dich.«
    »Nein.«
    »Niemand hat die Frau auf dem Foto wiedererkannt.«
    »Doch«, sagte Birgit Hesse.

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