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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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das?«
    »Sie haben das gesagt, am Sonntag im Lokal.«
    »Tatsächlich?« Sie trank einen Schluck Brombeersaftschorle. Sie hatte auch Süden ein Glas angeboten, aber er hatte abgelehnt. Obst in flüssiger oder fester Form zählte nicht zu seinen geschätzten Lebensmitteln, was nicht bedeutete, dass er grundsätzlich einen Obstler ablehnte.
    »Meinungsverschiedenheiten kommen immer wieder vor.«
    »Bei welchem Thema hatten sie verschiedene Meinungen?«, sagte Süden.
    »Dies und das.«
    »Sie bezahlen mich dafür, dass ich solche Fragen stelle, Frau Nickl«, sagte Süden. »Jeder Hinweis kann helfen, Ilka wiederzufinden. Das hat Ihnen die Polizei auch erklärt.«
    »Bisher merk ich aber nichts davon, dass unsere Hinweise was helfen.«
    »Warum wollen Sie eigentlich, dass Ilka Senner wiederkommt?«
    »Was ist das für eine Frage? Warum wir wollen, dass sie wiederkommt? Warum?«
    »Warum, Frau Nickl?«
    »Warum?«, sagte sie laut. Sie sah zur Tür, als tauche dort hilfreich ihr Mann auf, gesegnet mit der Gabe der alles vernichtenden Antwort.
    Im Flur blieb es still. Anscheinend war ihre Stimme bis ins Wohnzimmer nicht vorgedrungen, oder in einen der Gehörgänge ihres Mannes.
    »Unverschämtheit, so eine Frage.«
    »Beantworten Sie sie.«
    Sie trank wieder einen Schluck, wischte sich beide Hände an der Schürze ab, legte sie auf den Tisch. Dann beugte sie sich, wie verschwörerisch, näher zu Süden vor. »Sie soll das Lokal fortführen, darum geht’s, das wissen Sie doch. Mein Mann und ich wollen Ilka als Nachfolgerin. Sie ist die Beste. Sie kennt das Geschäft, sie kennt die Leute, sie hat alles im Griff. Und die Brauerei vertraut ihr auch. Ilka ist ein Glücksfall für eine Gastronomie wie die unsrige. Die Ilka lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, die weiß jeden Gast so zu nehmen, wie er ist, und behält immer die Übersicht. Sie trinkt mit ihnen, aber sie weiß genau, wann sie aufhören muss. Sie ist die perfekte Wirtin. Deswegen muss sie wiederkommen, und zwar schnell, bevor uns die Brauerei jemand anderen vor die Nase setzt.«
    »Warum ist sie dann einfach weggegangen?«
    Charlotte Nickl zuckte mit der Schulter.
    Süden sagte: »Sie tut sich schwer beim Schreiben und Lesen, sie hat Probleme mit der Rechtschreibung.«
    »Und wie!« Charlotte Nickl schüttelte den Kopf, lehnte sich zurück, schüttelte noch einmal den Kopf. »Ich hab auf sie eingeredet wie auf einen sturen Esel. Ich hab ihr gesagt, wenn sie sich keine Mühe gibt und die Brauerei mitkriegt, was mit ihr los ist, fliegt sie raus. Das bringen die fertig.«
    Sie beugte sich wieder über den Tisch. »Die hat doch schon zwischendurch die Geschäfte übernommen. Wenn mein Mann und ich mal eine Woche oder zehn Tage an den Gardasee gefahren sind, da war sie verantwortlich, ganz allein. Und sie musste Rechnungen ausfüllen und unterschreiben, sie hatte unsere ausdrückliche Genehmigung. Begreifen Sie das?
    Das haben wir doch selbst jahrelang nicht mitgekriegt, dass die Ilka … dass die praktisch eine halbe Analphabetin ist. Haben Sie die mal die Zeitung lesen sehen? So, mit dem Finger jede Zeile entlang. Als ich das zum ersten Mal gesehen hab, war mir sofort alles klar. Ich hab mit ihr unter vier Augen geredet, von Frau zu Frau. Sie hat gesagt, sie macht einen Kurs, ich hab ihr geglaubt. Hab dann auch nicht mehr dran gedacht. Irgendwann hab ich sie wieder erwischt, und sie? Sie sagt, sie hätt ihre Brille daheim vergessen, deswegen kann sie grad so schlecht lesen. Oder sie sagt, sie hätt sich die Hand verstaucht, wenn sie was unterschreiben sollt, irgendeine belanglose Rechnung aus dem Geschäft. Also hab ich wieder mit ihr geredet, und sie sagt wieder, sie geht in einen Kurs bei der Volkshochschule. Hab’s ihr geglaubt. Sie war nie da, alles Ausreden.
    Aber als Bedienung und hinterm Tresen war sie super, bis heute. Sie gehört zum Lokal wie der Stammtisch, sie ist eine von uns, seit fast zwanzig Jahren. Das ist doch klar, dass wir nach ihr suchen, wenn sie auf einmal verschwunden ist. Wir machen uns alle riesige Sorgen.«
    »Als Kellnerin musste sie Speisenkarten und Preise lesen.«
    »Die Ilka kann alles auswendig, alle Preise, alle Speisen, die hat sich nie eine einzige Bestellung aufgeschrieben. Jetzt ist mir klar, wieso.«
    »Ihr Mann weiß nichts davon.«
    »Niemand weiß was davon«, sagte Charlotte Nickl. Ein Schatten Traurigkeit zog über ihr helles Gesicht. »Ich hab so auf sie eingeredet, und sie wurde immer sturer. Sie hat das alles immer

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