Süden und das Lächeln des Windes
Halstuch und roch an den Fingern, als überprüfe er den Geruch des Waschpulvers. »Ich hab den Bericht gelesen…« Er sah Martin an, der ihm schräg gegenübersaß. »Der Mann spinnt doch! Da ist sein Kind spurlos verschwunden, und er denkt nur an sich! Ich dulde das nicht.«
Es klang, als spräche er zu seinen Kindern.
»Es ist besser, wenn der Vater hier ist«, sagte Funkel. Dann griff er nach einer seiner Pfeifen, betrachtete sie eine Weile und schaute von seinem Platz hinter dem Schreibtisch in unsere Runde.
»Was machen wir, wenn die Presse etwas vom heutigen Abend erfährt?«, fragte er, hauptsächlich an Sonja gewandt.
»Sie erfährt nichts«, sagte Weber in entspanntem Tonfall.
»Hier kommt niemand ins Haus.«
»Man kann nie wissen«, sagte Funkel und sah auf die Uhr.
»Die Sachen werden bald geliefert. Wenn von den Leuten jemand was ausplaudert…«
»Das tun die nicht«, sagte Weber, der mir zum ersten Mal seit dem Tod seiner Frau ein wenig leichter vorkam, seines unvermindert mächtigen Kugelbauchs zum Trotz.
»Das sind verschwiegene Türken, die kennen uns seit Jahren, eher erzählen die uns was als der Presse. Was meinst du?«
»Dasselbe«, sagte ich.
»Ist schon eine heikle Situation«, sagte Sonja.
»Wir waren auch schon mal mitten in einem Mordfall«, sagte Funkel.
Es half kein Herumreden. Aus Gründen, für die wir keine Erklärung hatten und die bei jedem von uns vermutlich unterschiedlich geartet waren, sahen wir alle Jahre wieder mit einer gewissen Freude unserer dezernatsinternen Weihnachtsfeier entgegen, auch ich, obwohl ich dort meist nichts anderes tat als mich dem türkischen Essen hinzugeben, den Reden halbohrig zuzuhören und meinem dreiundvierzigjährigen besten Freund Martin dabei zuzusehen, wie er allen Ernstes auf offener Bühne und vor Kollegen, von denen er einige nicht einmal näher kannte, Luftgitarre zur Musik der siebziger Jahre spielte. Angeblich plante er sogar, an der demnächst in München stattfindenden Vorausscheidung zur Weltmeisterschaft der Luftgitarrespieler in Finnland teilzunehmen.
An diesem Freitag allerdings, als wir von Funkels Büro in die zwei Stockwerke tiefer gelegene Vermisstenstelle zurückkehrten, ahnte ich nicht, dass mir unsere diesjährige Weihnachtsfeier nicht wegen Martins clapton artiger Riffs in immerwährender Erinnerung bleiben sollte.
9
E r begann mit »Layla« und endete mit »White Room«, dazwischen lagen Kurzversionen von »Pictures of Matchstickmen«, »Smoke on the Water« und »Paranoid«, bei Letzterem stand Sonja Feyerabend demonstrativ auf und ging zur Toilette. Als sie zurückkam, machte sie das Gesicht einer entsetzten Frau.
»Das war doch jetzt eine Halluzination«, sagte sie.
»Unbedingt«, sagte ich. »Es ist sehr wichtig, dass Sie sich die Gitarre vorstellen können, sonst funktioniert die Show nicht, genau wie für den Künstler.«
»Welchen Künstler meinen Sie?« Sie trank türkischen Rotwein, der ihr nicht schmeckte, was an ihrer Erkältung liegen konnte.
»Diese Leute verstehen etwas von Musik«, sagte ich.
»Sie beherrschen die Technik des Gitarrenspiels, sie können sich auf der Bühne bewegen, sie haben ein musikalisches Gehör.« Ich trank ebenfalls türkischen Rotwein, der mir schmeckte.
»Darf ich Ihnen verraten, was ich gesehen habe?«, sagte sie, zerrupfte das Weißbrot und tunkte den Rest Tomatenmus von ihrem Teller.
»Eigentlich nicht«, sagte ich.
»Ich hab einen erwachsenen Mann gesehen, der kindische Bewegungen macht«, sagte sie, kaute und blickte über den Tisch, auf dem mehrere Teller mit Gemüse, Salaten, verschiedenen Oliven und Pepperoni standen. An einem Büfett, das der türkische Wirt an der Wand aufgebaut hatte, gab es warme Gerichte, und der schlauchartige funktionale Raum mit der Neonbeleuchtung war erfüllt vom Duft nach Gewürzen und gekochtem Fleisch.
Knapp siebzig Polizisten waren zu der Weihnachtsfeier gekommen, sie gehörten zu den vier Kommissariaten des Dezernats 11, zu Mord, zu der Todesermittlung, der Brandfahndung und der Vermisstenstelle, außerdem zwei Kollegen aus der neu installierten OFA-Abteilung, die sich mit operativer Fallanalyse beschäftigte, mit Täterprofilen und speziellen Vernehmungstaktiken.
Im Augenblick beschäftigten sich alle mit der Darbietung von Martin Heuer.
»Zwei Songs hat er letztes Jahr schon gebracht.«
»Sind eh Oldies!«
»Es gibt schon merkwürdige Hobbys.«
»Du musst grad reden mit deinen tausend Feuerwehrautos.«
»Echt, du
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