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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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zuständig.«
    »Schreiben Sie – in welcher Zeitung auch immer – etwas über diese Vernehmung?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Bitte?«
    »Es ist Ihr Job, darüber zu schreiben. Ihre Kollegen werden Sie darum beneiden.«
    »Mein Job ist es, zu den Jahresversammlungen vom Alpenverein oder Schützenverein zu gehen oder aus dem Stadtrat über die Umbenennung der Hauptstraße in Bürgermeister-Müller-Straße zu berichten. Ich bin ein Lokaljournalist, über Verbrechen und polizeiliche Sachen schreibt ein Kollege von mir.«
    »Mögen Sie Ihren Job nicht?«
    »Nicht besonders. Aber ich darf mich nicht beschweren, ich bin Pauschalist, ich hab ein festes Einkommen, egal, wie viel ich schreib. Und wenn ich die Redaktion verlasse, will ich meine Ruhe.«
    »Was tun Sie in Ihrer Freizeit?«
    »Ich bin Modellbauer, ich bau Schiffe, Flugzeuge, historische Fahrzeuge.«
    »Dann berichten Sie auch von der Jahreshauptversammlung des Vereins der Modelleisenbahnfreunde.«
    »So ungefähr.«
    »Sie sind nicht verheiratet.«
    »Ich bin geschieden.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Einen Sohn. Er lebt in Berlin, arbeitet dort als Streetworker. Oder ist drogensüchtig, ich weiß es nicht genau.«
    »Sie haben keinen Kontakt zu ihm.«
    »Nein. Zu meiner Exfrau auch nicht. Sie wollt ein anderes Leben, das, was ich ihr geboten hab, war ihr zu klein. Sie hat immer gesagt, ich soll mich beim ›Spiegel‹ bewerben, oder beim ›Stern‹, oder wenigstens im Stammhaus der ›Süddeutschen Zeitung‹. Wollt ich nicht. Ich bin Lokaljournalist. Da ist sie weg, samt meinem Sohn. Nach Hamburg, sie hat einen Geschäftsmann kennen gelernt, einen Modeeinkäufer, der ein Haus auf Sylt besitzt. Da ist die Welt natürlich größer. Mein Sohn war damals sieben, er musste die Schule verlassen, seine Freunde, alles. Meine Frau hat nicht lange gefackelt. Was hätt ich machen sollen? Wenn jemand weg will, darf man ihn nicht halten. Mein Kontakt zu Benedikt, das ist mein Sohn, war nicht besonders innig, weiß nicht, warum. Wir mochten uns nicht, wenn man so was sagen darf, wir waren uns irgendwie nicht sympathisch. Als Jugendlicher hat er mich ein paar Mal besucht, ich hab ihm Geld gegeben, er hat sich rumgetrieben, die Schule war ihm egal, er hat geraucht und getrunken und Drogen genommen. Schon mit fünfzehn, sechzehn. Er war von zu Hause abgehauen, war ihm zu spießig, hat er gesagt. Was nutzt einem die große Welt, wenn das Kind sagt, die ist ihm zu spießig, die große Welt, und abhaut? Mich hat er ausgelacht wegen meinem Hobby. Er war bekifft, ich hab es ihm nicht übel genommen. Dann ist er bei Nacht und Nebel wieder verschwunden. Irgendwann hat meine Exfrau mich angerufen und gefragt, ob ich wüsste, wo Benedikt steckt. Sie hat dann rausgefunden, dass er in Berlin ist. Und heute? Wie gesagt, Streetworker. Oder was anderes. Lisbeth war mal mit ihrem Mann zu Besuch in München, wir waren essen, er wollte ins ›Andechser am Dom‹ und in die Fünf Höfe. Haute Couture. Da hat mir Lisbeth erzählt, Benedikt wär jetzt Streetworker. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum ich das nicht geglaubt hab. Ich glaub es bis heut nicht. Ich denk selten an ihn, fast nie. Merkwürdigerweise hab ich gestern an ihn gedacht, gestern kurz vor der Tankstelle, wo der Stau war, kurz bevor ich das Mädchen gesehen hab. Wer weiß, wenn ich nicht an Benedikt gedacht hätte, wär mir das Mädchen womöglich gar nicht aufgefallen.«
    »Um wie viel Uhr haben Sie das Mädchen gesehen, Herr Sigburg?«
    Anmerkung: Die Vernehmung muss kurz unterbrochen werden, da ein Mitarbeiter des ED ein Foto bringt, das Hauptkommissar Süden in Empfang nimmt. HK Süden wiederholt seine vor der Unterbrechung gestellte Frage.
    »Nach halb sechs. Um halb kommen die Verkehrsmeldungen im Radio, und das war wenig später. Ich erinnere mich, weil ich noch gedacht hab, so ein Stau auf der Wolfratshausener Straße wird natürlich wieder nicht gemeldet.«
    »Wo genau war der Stau?«
    »Vor der Tankstelle, nahe der Einmündung der Ludwigshöher Straße. Da ist doch gegenüber eine Tankstelle, es war Feierabendverkehr, und zwei Autos sind zusammengestoßen. Nichts Dramatisches, ich hab nichts erkennen können, einer wollte einbiegen, der andere wollte rausfahren, ein Dritter kam aus Richtung München und hat nicht aufgepasst, ich weiß nicht genau. Zwei Männer, eine Frau. Sie haben sich angeschrien, ihre Autos standen im Weg, niemand kam vorbei.«
    »Wo stand der silbergraue Audi, den Sie gesehen haben?«
    »Auf der

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