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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Taschentuch ein, mit dem sie sich gerade geschnäuzt hatte, und warf mir einen fragenden Blick zu. Ich nickte. Sie tippte einen Satz in den Laptop.
    »Volker Thon, ich bin Leiter der Vermisstenstelle, Sie wollten mich sprechen?«
    »Genau. Der Mann hat mich beleidigt.«
    »Was hat er zu Ihnen gesagt?«
    »Er hat gesagt, ich wär dumm und würd lügen.«
    »Ich habe zu ihm gesagt, zum Lügen sei keiner zu dumm.«
    Das hätte ich nicht sagen dürfen. Unter keinen Umständen hätte ich diese Bemerkung machen dürfen, nun hatte Erika Haberl keine andere Wahl, als sie zu protokollieren, und Torsten Kolb musste das Protokoll unterschreiben. Ich sah, wie Thon innerlich erstarrte. Er rieb sich die Hände, als würde er sie eincremen, nestelte an seinem Halstuch und setzte sich an den Tisch.
    »Herr Kolb, Ihre Tochter ist seit gestern Abend unauffindbar, niemand hat sie gesehen. Ich hab eine Sonderkommission einberufen, zwanzig Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich mit dem Fall. Wenn Sie uns etwas mitzuteilen haben, tun Sie das jetzt bitte. Wir sind alle sehr angespannt, wie Sie sich denken können.«
    »Ich lass mich doch nicht beleidigen!«, blaffte Kolb und zeigte auf mich. »Der bedroht mich. Der steht da am Fenster und bedroht mich. Ich will mit einem anderen Polizisten reden, mit dem nicht! Wenn der dableibt, sag ich nichts mehr! Null! Capice ?«
    »Bitte?«, sagte Thon.
    »Ich sag nichts mehr. Der Typ ist total unberechenbar. Da, schon wieder! So steht der die ganze Zeit da. Pass bloß auf!«
    »Bitte beruhigen Sie sich«, sagte Thon. »Der Kollege Süden stellt Ihnen ganz normale Fragen, beantworten Sie sie, dann können Sie sofort gehen. Wenn Sie möchten, fahren wir Sie auch ins Krankenhaus.«
    Ich hatte nicht daran gedacht, Thon über die Situation zu informieren. Als ich vorhin den Raum verlassen hatte, stürzte ich die Treppe hinunter wie jemand, der vor einem Feuer flüchtete, einer nahenden fürchterlichen Explosion. In einem mageren Anfall von Selbstkontrolle gelang es mir, zwei Minuten nicht an den Mann zu denken, seine Stimme auszuschalten, meine Empfindungen zu bändigen, als würde ich eine Horde gereizter Rottweiler anleinen und ahnen, dass es mir nicht gelingen würde, sie festzuhalten. Und so hatte ich in Thons Büro erst einmal eine Tasse schwarzen Kaffee getrunken, ehe ich mein plötzliches Auftauchen erklärte. Zudem hatte er mich nicht gefragt, wie die Vernehmung bisher verlaufen war. Seine Gedanken galten der Koordination der Kollegen, und ich störte ihn bei seinen Planungen.
    Aus Versehen hüstelte Erika Haberl, instinktiv hatte sie Thon noch warnen wollen.
    »Was für ein Krankenhaus?«, sagte Kolb mit gleißender Stimme. »Wer ist im Krankenhaus? Was ist? Was? Wer?«
    »Bitte?«, sagte Thon, um Zeit zu gewinnen. Sofort, als Kolb loslegte, hatte Thon begriffen, dass dieser vom Zusammenbruch seiner Frau noch nichts wusste.
    »Zu Ihrer Frau«, sagte ich. »Sie ist im Krankenhaus.«
    »Und warum erfahr ich das nicht? Trick oder? Sauber reingefallen. Was ist mit der? Los jetzt! Kriegt sowieso alles die Zeitung, also packt aus jetzt!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, sah uns der Reihe nach an und schlug ein zweites Mal auf den Tisch. »Maul auf jetzt!«
    »Sind Sie betrunken?«, sagte Thon.
    »Ich bin nicht betrunken!« Das Telefon klingelte.
    »Klingeln lassen!«, schrie Kolb.
    Ich nahm den Hörer ab. Es war Sonja. Nachdem ich ihr zugehört und aufgelegt hatte, sagte ich: »Stimmt es, dass Sie schon mehrere Male Ihre Tochter zum Schwimmen abgeholt und dann erst spät in der Nacht zurückgebracht haben, Herr Kolb?«
    »Was ist?«
    »Haben Sie die Frage verstanden?«, sagte Thon.
    »Wollen Sie mich verarschen oder was? Halten Sie mich für einen Behinderten? Wie reden Sie überhaupt mit mir?«
    »Stimmt das, Herr Kolb?«, sagte ich.
    Er fuhr sich mit dem Finger über den Schnurrbart und schniefte. »Nein.«
    »Sie haben Ihre Tochter nach dem Schwimmen nie erst spät in der Nacht zurückgebracht?«
    »Nein.«
    »Wir haben einen Zeugen, der das beschwört.«
    »Dann lügt er!« Er hielt inne, nickte zum Telefon hin, schob den Stuhl nach hinten und verschränkte die Arme.
    »Der Alte! Lehrerpack! Das sind menschliche Rassisten, alle zwei, der Alte und seine Frau.«
    »Was sind menschliche Rassisten?«, fragte Thon.
    »Die scheißen auf einen wie mich«, sagte Kolb. » Capice? Für die bin ich ein Schrotthändler, weil ich gebrauchte Autos verkauf. Aber ich verkauf auch neue Autos.

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