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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Polizei?«, fragte Fabian. Ich sagte: »Fünfundzwanzig Jahre.«
    »Ist das nicht langweilig?«
    »Nein«, sagte ich. »Es ist mein Beruf.«
    »Wollten Sie immer schon Polizist werden?«
    »Ich wusste nicht, was ich werden sollte.«
    Nach einer Weile sagte Fabian: »Vielleicht werd ich auch Polizist. Dann kann ich so Leute wie meinen Alten einsperren.«
    »Ich habe deinen Vater nicht eingesperrt, ich habe ihn nur vorübergehend festgenommen. In zwei Tagen ist er wieder frei.«
    »Warum denn?« Fabian richtete sich auf und lehnte sich an die Wand und sah mich mit grimmigem Gesicht an.
    »Wir können ihm nicht beweisen, dass er etwas Schlimmes getan hat.«
    »Und was ist mit dem Zeugen? Oder haben Sie mich angelogen?«
    »Ich lüge dich doch nicht an«, sagte ich und schwieg.
    Er musterte mich und zog die Augen zu Schlitzen zusammen.
    »Der Zeuge behauptet, er hat deinen Vater und deine Schwester gesehen. Gestern am späten Nachmittag in der Ludwigshöher Straße. Er ist bisher der einzige Mensch, der die zwei gesehen hat.«
    »Ich hab sie auch gesehen«, sagte Fabian.
    Scheinbar achtlos fragte ich: »Deinen Vater und deine Schwester zusammen?«
    »Ihn hab ich gesehen, sein Auto, ich habs vom Fenster aus gesehen, er ist vorbeigefahren. Er hat auf Nasti gewartet.«
    »Er wollte mit ihr ins Schwimmbad«, sagte ich.
    »Klar.« Fabian kratzte sich am Oberschenkel und anschließend in den zerzausten Haaren.
    »Hast du gesehen, wie deine Schwester ins Auto gestiegen ist?«, sagte ich.
    »Hab ich nicht!«, sagte er heftig. »Aber sie ist bestimmt eingestiegen. Und dann ist sie wieder ausgestiegen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil ich das weiß.«
    »Du hast mir sehr geholfen, Fabian«, sagte ich. »Willst du jetzt zu deiner Mutter ins Krankenhaus?«
    Er sah aus, als sei er verblüfft darüber, dass ich ihn nicht weiter ausfragte. Er warf einen Blick auf seine breite Armbanduhr und zog wieder die Augen zusammen. Natürlich hätte ich ihn weiter befragen müssen, doch ohne elterlichen Beistand waren seine Aussagen nicht gerichtsverwertbar. Also hoffte ich, er würde von sich aus mehr erzählen.
    Ich schwieg. Er hob den Kopf.
    »Ich weiß nur, dass er Nasti abgeholt hat«, sagte Fabian.
    »Und mehr weiß ich nicht.«
    Ich überlegte, ob er das Lügen von seinem Vater vererbt bekommen hatte.

9
    A lle fünfzehn Minuten klingelte jemand an der Wohnungstür, Reporter, die allen Ernstes hofften, wir würden ihnen öffnen. Gelegentlich hörten wir vom Wohnzimmer aus, das im hinteren Teil des Hauses lag, ein Klopfen gegen die geschlossenen Fensterläden auf der Frontseite. Sollte ein Journalist es wagen, den Garten zu betreten, würde er von meinen uniformierten Kollegen, die mit zwei Streifenwagen vor dem Grundstück warteten und ähnliche Situationen schon erlebt hatten, sofort zurückgedrängt werden.
    Eine Hundertschaft von Bereitschaftspolizisten hatte im Lauf des Tages die Gegend, vor allem den Wald oberhalb der Bahnlinie, durchstreift, eskortiert von zwei Hundeführern und einem Hubschrauber, der drei Stunden lang über der Ludwigshöhe kreiste. Noch legitimierte Volker Thon den Großeinsatz mit »Verdacht auf Entführung«, sämtliche Aktionen glichen denen bei einem Kapitaldelikt, das Auffinden des Kindes galt als oberstes Ziel, das Auswerten und Einordnen meiner Vernehmungen fanden vorübergehend im Windschatten der Suche statt. Gegen Ende des Tages, nachdem der Einsatz von Wärmebildkameras, Videos und Hunden keinen Erfolg gebracht und sich nach wie vor kein weiterer Zeuge mit einer brauchbaren Aussage gemeldet hatte, setzte Thon eine Besprechung an. Er wollte einen Teil der bisherigen Spuren mit den Ergebnissen der Befragungen vergleichen, speziell bezogen auf das undurchschaubare und egoistische Verhalten der Eltern Nastassjas und ihres Bruders, zu dessen Deutung die Großeltern weitere dunkle Mosaiksteine hinzufügten.
    »Der Mann wollte unsere Tochter zweimal zu einer Abtreibung zwingen«, sagte Friedbert Hegel.
    Ich sagte: »Hat Ihre Tochter Ihnen das erzählt?«
    »Sie hat es angedeutet«, sagte Hegel. »Sie wollte nicht darüber sprechen, das ist doch verständlich. Verstehen Sie das nicht? Was für eine Demütigung!«
    »Haben Sie mit Ihrer Tochter über dieses Thema gesprochen, Frau Hegel?«, sagte Sonja, die sich in den Korbstuhl gesetzt hatte, weil ihr die anderen Stühle zu hart waren. Ich sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, sich nach sechsunddreißig Stunden ohne Schlaf zu konzentrieren. Mir ging es

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