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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Konzentration.
    »Das stimmt!«, sagte er. »Ein blaues Hemd. Das stimmt!«
    »Hatte er einen Hut auf?«, sagte ich. »Einen Strohhut?«
    »Ich glaub schon«, sagte Franze und schluckte und schürzte die Lippen. »Was man alles nicht sieht, obwohl man hinschaut, gell?«
    »Ja«, sagte ich.
    Franze schniefte. Er sah mich fragend an, und ich überlegte, ob ich ihn beleidigte, wenn ich ihm etwas Geld gab.
    »Hat der Mann was gesagt?«
    »Hat er nicht, ganz sicher. Ich hab mich entschuldigt. Weil ich ihn angerempelt hab. Er hat nichts gesagt.«
    »Warum haben Sie ihn eigentlich angerempelt?« Die Frage rutschte mir so heraus.
    »Ich seh schlecht«, sagte Franze. »Die Sonne hat mir direkt ins Gesicht gescheint, da seh ich noch weniger. Ich hab mich umgedreht, hier, weil wegen dem Wasser, das ist gutes Wasser in dem Brunnen, Trinkwasser. Ich zapf da immer was ab, das ist, glaub ich, erlaubt. Ist erlaubt, gell?«
    »Unbedingt«, sagte ich und nahm einen Zehneuroschein aus meinem Geldbeutel. »Danke, dass Sie so aufmerksam waren, Franze.«
    »Das nehm ich nicht, das geht nicht.«
    »Das geht schon, nehmen Sies. Ist ein Geschenk.«
    »Vielen Dank, der Herr.« Wie aus Höflichkeit betrachtete er den Schein, faltete ihn zusammen, während er weiter den Beutel festhielt, und versteckte ihn in der Faust.
    »Wiedersehen, der Herr«, sagte Franze.
    »Auf Wiedersehen.«
    Er rührte sich nicht von der Stelle, krallte die Finger in den Baumwollbeutel, warf vorsichtige Blicke zum Brunnen, vor dem ich stand.
    Ich machte einen Schritt zur Seite. »Frisches Wasser?« Mit dem Geldschein in der Faust, holte er eine eingedellte Plastikflasche aus dem Beutel, schraubte sie auf und ließ Wasser hineinlaufen. Ich sah ihm nicht dabei zu, sondern vor zur Straße, ich stellte mir Korbinians Blick vor.
    Franze packte die Flasche ein. »Noch mal Wiedersehen, der Herr.«
    »Auf Wiedersehen.«
    Nach ein paar Metern drehte er sich noch einmal um, ich nickte ihm zu, und er schlurfte weiter, verschwand im Gewühl.
    Ich stellte mich, vielleicht wie Korbinian, neben den rechteckigen Steinbrunnen und schaute wieder zur Straße. Da waren die Metzgereien in der Backsteinzeile unterhalb der Terrasse des Rischart-Cafés, die Bäckereiläden, im Hintergrund der Turm des Alten Peter, Passanten, Touristen, Taxis. Ein blauer Linienbus kam die Straße entlang, die für Personenwagen gesperrt war, Fahrradfahrer klingelten, vornübergebeugt bissen Leute von Thüringer Rostbratwürsten ab, andere knabberten an Essiggurken. An weißen Plastiktischen auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig aßen Frauen Kuchen oder Gemüsestrudel. Was hatte Cölestin Korbinian von dieser Stelle aus beobachtet? Warum hatte er sich von Magnus Horch Hals über Kopf verabschiedet, um dann nur wenige Meter weiter stehen zu bleiben? Hatte er jemanden zufällig gesehen und daraufhin beobachtet?
    Als ich mich umdrehte, kam Martin aus der Menge der umherschlendernden Marktbesucher auf mich zu. Auf seiner Knollennase prangten dunkelrote und bläuliche Adern. Er rauchte und schien sich wohl zu fühlen. Ich war mir sicher, er hatte ein zweites schnelles Helles getrunken.
    »Wie war der Saft?«, fragte er.
    »Ich bin noch nicht dazu gekommen«, sagte ich und berichtete ihm von der Begegnung mit Franze.
    »Morgen ist das Foto in der Zeitung«, sagte Martin.
    Auf die Veröffentlichung setzten wir unsere ganze Hoffnung, da es uns nicht gelang, eine weitere konkrete Spur zu finden. Auch die Verkäufer und Angestellten in den Geschäften gegenüber dem Markt und an den Ausläufern der Fußgängerzone erkannten den Mann auf dem Foto nicht wieder. Und dabei hatte sich Korbinian regelmäßig in dieser Ecke der Stadt aufgehalten, er war Stammgast im Biergarten des Viktualienmarktes, bestimmt hatte er allein oder gemeinsam mit seiner Frau in einigen der Läden oder an dem einen oder anderen Stand eingekauft, jemand musste ihn kennen.
    »Ein Unsichtbarer«, wiederholte Martin auf dem Rückweg ins Dezernat.
    Am nächsten Morgen, Samstag, sechster Juli, klingelte das Telefon in meiner Wohnung. Sonja stieß einen Fluch aus und ich küsste sie auf den Nacken und sie fluchte sanftmütiger.
    »Tut mir Leid, dass ich dich störe.«
    »Hast du Bereitschaftsdienst?«, sagte ich in den Hörer.
    »Leider, ist überhaupt nichts los. Aber gerade hat jemand angerufen, und ich glaub, das ist wichtig. Eine Frau. Sie sagt, sie ist eine Freundin von Cölestin Korbinian. Sie hat das Foto in der Zeitung gesehen, sie macht sich

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