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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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für ein Typ ist! Ist das hier ein Verhör?«
    »Bei uns gibt es keine Verhöre.«
    »Was denn dann? Talkshows?«
    »Vernehmungen«, sagte ich.
    »Wortklauberei!«, sagte sie.
    Ich schwieg. Dann hatte ich Lust auf Kaffee, und der Stuhl knarzte.
    »Da bist du ja, komm, komm zu mir!«, sagte Annegret Marin.
    Aus dem Wohnzimmer torkelte oder wankte oder schwankte ein graubrauner Mischlingshund mit zerschlissenem, abstehendem Fell und zittrigen dürren Beinen. Er wirkte, als habe er die Nacht in einer laufenden Waschmaschine verbracht. Sein Kopf zuckte und ruckte, und jeder Schritt schien ihm größte Mühe zu bereiten.
    »Hier bin ich, Nero, komm hierher!« Sie beugte sich nach vorn und hievte das strubbelige Bündel auf ihren Schoß.
    »Das ist Nero. Und das ist Herr Süden, Nero, er ist von der Polizei und macht keine Verhöre, nur Vernehmungen.«
    Sie drehte den Hund in meine Richtung. Er machte einen erbarmungswürdigen Eindruck, und es war unübersehbar, dieser Nero würde niemals in seinem Leben Hundehütten abfackeln.
    »Er ist blind«, sagte Annegret Marin. »Er ist alt und krank. Aber zu Cölestin hat er absolutes Vertrauen, mit ihm geht er sogar raus, nur mit ihm. Mit mir nicht, ich krieg ihn nicht aus der Wohnung.« Sie kraulte den Hund hinter den Ohren, er gab keinen Laut von sich, schlotterte, und wenn ich mich nicht täuschte, tränten seine Augen.
    »Korbinian ist mit ihm Gassi gegangen«, sagte ich.
    »Das letzte Mal am Mittwoch«, sagte sie. »Obwohl er es erst vergessen hatte, das war noch nie vorgekommen! Er hat mich ganz aufgelöst angerufen und sich entschuldigt, er war völlig außer sich, so hab ich ihn noch nie erlebt.«
    »Wann am Mittwoch hat er Sie angerufen?«
    »Mittags, gegen halb zwei. Um eins wollte er eigentlich schon da sein.«
    Ich hatte meinen kleinen karierten Spiralblock aus der Hemdtasche gezogen und machte mir Notizen.
    »Ich hab auf ihn gewartet«, sagte Annegret Marin.
    »Eigentlich hätt ich längst in Gern sein müssen, wir hatten da einen Auftrag bei einem Architekten, Einweihungsfeier, ich hab eine Cateringagentur.«
    »Sie liefern Essen für Feste«, sagte ich.
    »Nicht direkt, ich hab drei Teams unter Vertrag, unterschiedliche Leute, die einen sind auf Sushi und asiatisches Fingerfood spezialisiert, die anderen kochen bayerisch, die dritten sind die absoluten Pastakönige. Die vermittele ich, ich kenn die Köche, die Helfer, da versteht jeder sein Handwerk. Aber sie haben halt kein Interesse, sich zu vermarkten, das kriegen sie nicht hin, sie wollen kochen und servieren und sonst nichts, also erledige ich den Rest. Hat sich bewährt, meine Adresse wird von den Kunden weitergegeben, wir sind auch nicht übermäßig teuer, und wir versorgen kleine Gruppen genauso wie große, einmal hatten wir zweihundertfünfzig Gäste, totale Sushifreaks, das war schon eine Herausforderung. Ich hab dann noch die Serviceleute von meinen Pastakönigen dazugenommen, dann gings. Hast du Hunger, Nero? Jetzt hast du so lange geschlafen. Ich mach dir gleich was zurecht.«
    »Haben Sie Korbinian bei einem Cateringauftrag kennen gelernt?«, sagte ich.
    »Genau. Die hatten ein hausinternes Jubiläum, hab vergessen, welches, fünfundzwanzig Jahre Post in der Fraunhoferstraße oder so. Oder dreißig, weiß ich nicht mehr. Da hab ich ihn kennen gelernt, genau.«
    »In Gegenwart seiner Frau«, sagte ich.
    »Sie war da, aber ich hab nicht mit ihr gesprochen.«
    »Und seitdem führt er Ihren Hund aus.«
    »Das macht er seit einem halben Jahr.«
    Sie strich dem Hund durchs Fell, und seine Beine zuckten, und er stieß einen leisen, heiseren Seufzer aus.
    »Sie haben sich regelmäßig getroffen«, sagte ich.
    »Einmal die Woche, Freitagnachmittag, zwischen halb drei und halb fünf.«
    »Immer zur selben Zeit.«
    »Exakt. Da hatte er frei, Überstundenabbau, wir haben uns unten an der Isar getroffen, praktisch bei jedem Wetter, auch im Winter, wenns geschneit hat.«
    Sie sah mich an, kraulte den erledigten Nero und lehnte sich vorsichtig zurück, darauf bedacht, den Hund, der in ihrem Schoß wieder eingeschlafen war, nicht zu wecken.
    »Und niemand sonst weiß von diesen Treffen«, sagte ich.
    »Seine Frau etwa! Natürlich weiß niemand davon. Das ist ein Geheimnis, und es ist mir nicht recht, dass ich davon erzählen muss, ich tu das nur, weil ich mich echt sorge. In der Zeitung steht, er ist seit Mittwochnacht verschwunden. Das versteh ich nicht. Am Mittwochnachmittag war er hier, er war mit Nero draußen,

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