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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Luftpumpe hatte er wieder zwischen die zwei Haken geklemmt und die Tüte mit dem Spannerglas in den Gepäckträgerkorb gelegt.
    Ich sagte: »Ich suche weiter.«
    »Der war da«, sagte Stamm, dessen kurzärmeliges Hemd fette Schweißflecken aufwies. »Wenn die Griechen keine Augen im Kopf haben, deswegen bin ich noch lang kein Lügner, und schon gar nicht lüg ich Sie an, von der Polizei.«
    »Ich glaube Ihnen«, sagte ich. Und das stimmte, auch wenn ich keine Erklärung dafür hatte.
    »Freilich!« Er schwang ein Bein über den Sattel und hielt den Lenker mit beiden Händen fest. Das Schutzblech klapperte. »Gibts eigentlich Zeugengeld?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Hört man aber oft davon«, sagte Stamm. Der Schweiß tropfte ihm von den Wimpern.
    Ich sagte: »Bei Vermisstenfällen wird nie Zeugengeld gezahlt.«
    »Bloß bei Mord«, sagte Stamm.
    »Manchmal«, sagte ich.
    »Dann ist es besser, ich schau nächstes Mal einem Mörder zu statt einem Vermissten«, sagte Stamm.
    »Unbedingt«, sagte ich.
    Er klopfte mit der flachen Hand auf den Lenker wie vorhin auf den Sattel. Vielleicht musste er das Klappergestell vor jeder Fahrt erst aufmuntern. »Wenn Sie mal verreisen wollen«, sagte er. »Felbus-Reisen! Für die fahr ich. Hypermoderne Busse, Fernsehen drin, Spitzenklimaanlage, in den Sitzen, da können Sie besser schlafen als daheim. Wir fahren runter bis nach Portugal, Moskau auch, wenn Sie wollen, Südeuropa ist unser Hauptgebiet. Nur für den Fall.«
    »Ich bin ein schlechter Verreiser«, sagte ich.
    »Weil Sie noch nie mit uns gefahren sind, Meister!« Stamm strampelte los, und in meinen Ohren klang das Klappern des Schutzblechs lange nach wie der Gruß eines verrosteten Windes.
    In ihrer scheuen, abwesenden Art senkte sie bloß den Kopf, hakte die Spitze ihres Zeigefingers in eine Masche der Tischdecke und legte die andere Hand darüber, als wolle sie sie wie ein Kind, das gerade herumgepult hat, vor mir verstecken. In der Wohnung an der Feuerwache war es still und beinahe kühl. Bei der Begrüßung hatte Olga Korbinian diesmal nicht gelächelt, sie gab mir nur die Hand, nickte und trat einen Schritt zur Seite. Auch als wir schon im Wohnzimmer standen und sie mich ansah, sagte sie nichts. Wieder trug sie eine dunkle Bluse und einen einfarbigen braunen Rock, der altmodisch an ihr wirkte, ihre grauen Haare sahen ungekämmt und ungewaschen aus.
    Auf die Frage, ob sie eine Frau mit dem Namen Annegret Marin kenne, schüttelte sie den Kopf. Möglicherweise, sagte ich, sei sie jene Geliebte, die Olga Korbinian erwähnt habe, jedenfalls habe ihr Mann die Frau einige Male getroffen, vermutlich sogar regelmäßig, ohne aber mit ihr zu schlafen.
    Zuerst hatte ich überlegt, eine andere Formulierung zu wählen, dann fragte ich mich, wozu. Olga Korbinian reagierte sowieso nicht, alles, was ich sagte, nahm sie gleichmütig entgegen, setzte sich dann wortlos an den Tisch und bot mir keinen Platz an, was ich angenehm fand.
    »Er ist nicht bei ihr«, sagte ich, weil sie sich offenbar weigerte, danach zu fragen. »Hat er inzwischen bei Ihnen angerufen, Frau Korbinian?«
    Sie antwortete nicht. Ich sah, wie sich unter ihren Händen die gehäkelte Tischdecke bewegte, und sie sah es auch, und als sie kurz den Kopf hob, erhellte sich ihr Gesicht für einen flüchtigen Moment.
    »Es haben Leute bei uns angerufen, die Ihren Mann gesehen haben wollen«, sagte ich. »Hier in der Nähe. Auf dem Markt, in der Heiliggeistkirche, im ›Sebastianseck‹. Und im Haus der Kunst.«
    Olga Korbinian zog die Stirn in tiefe Falten. »Was hat er denn da zu suchen?«, sagte sie mit einem schelmischen Unterton.
    »Er hat mit einem Kellner gestritten.«
    »Worüber denn?«
    »Das weiß ich nicht, und die Zeugin konnte es mir nicht sagen, weil sie zu weit weg stand. Anscheinend geht Ihr Mann gern in Ausstellungen.«
    Sie war so überrascht, dass sie den Kopf schief legte und sich auf der Bank zurücklehnte, die Hände neben sich aufgestützt.
    »Mit Ihnen geht er nie in Ausstellungen«, sagte ich.
    »Wir waren mal in der Alten Pinakothek«, sagte sie.
    »Wann?«
    »Im vorigen Jahrhundert.«
    »In der Pinakothek der Moderne waren Sie noch nicht?«
    »Nein. Sie?«
    »Ich auch nicht.«
    »Was hat er sich angesehen?«, fragte sie.
    »Das weiß ich noch nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er tatsächlich in einer Ausstellung war, fest steht nur, er war im Haus der Kunst.«
    »Glauben Sie, er ist zum Streiten dorthin gegangen?«
    »Das glaube ich nicht«,

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