Süden und der glückliche Winkel
müssen.
»Er schläft nicht mit Annegret Marin«, sagte ich.
Ein paar Kollegen lachten. »Was macht er dann mit ihr?«, sagte einer von ihnen.
»Er geht mit ihr spazieren und führt ihren Hund aus«, sagte ich.
»Und die übrige Zeit?«, sagte der Kollege.
»Es gibt keine übrige Zeit, zwei Stunden am Freitag, mehr nicht.«
»Da stimmt aber was nicht«, sagte Freya Epp.
Thon gab dem Kollegen die Akte zurück. »Jetzt reden wir mit der Ehefrau und dann sehen wir klarer. Pause.« Er steckte sich einen Zigarillo zwischen die Lippen. Anzünden durfte er ihn noch nicht, da Sonja Rauchverbot bei allen Besprechungen durchgesetzt hatte, eine harte Prüfung, nicht nur für unseren Vorgesetzten.
»Wieso ist schon Pause?«, fragte Freya, als Thon den Raum verlassen hatte.
»Er sieht ein wenig käsig aus«, sagte Weber und faltete die Hände auf seinem Kugelbauch. Rauchschwaden zogen um uns herum, und ich goss Kaffee in Webers Tasse.
Sonja war drei Türen weiter in unser gemeinsames Büro gegangen, um mit ihrem Arzt zu telefonieren. Am Wochenende hatte sie ihre Mutter besucht, und zurückgekehrt war sie wie so oft aggressiv und wütend, vor allem über das ihrer Meinung nach devote Verhalten ihrer Mutter gegenüber dem Hausarzt, den Sonja für einen Versager hielt. Jetzt wollte sie sich bei ihrem eigenen Arzt nach alternativen Möglichkeiten erkundigen, wie ihre Mutter die schweren Rheumaanfälle, die sie seit einiger Zeit quälten, behandeln könne.
Weber fragte mich nach Martin, ich sagte, er habe wenig getrunken und nachts durchgeschlafen, bis gegen fünf, danach habe er Kaffee gekocht und in der Küche den Fernseher eingeschaltet, vor dem er, als ich kurz nach sieben Uhr hereinkam, eingeschlafen war. Was er tagsüber tun wollte, wusste ich nicht. Natürlich erklärte Martin, er wolle nach Hause gehen, die eine Nacht sei angenehm gewesen, aber nun komme er schon zurecht. Ich versprach, den Dienst am frühen Abend zu beenden, anschließend könnten wir ins Kino gehen oder uns mit Sonja im Biergarten verabreden.
»Es ist schlimmer, als du gedacht hast«, sagte Weber.
»Ja«, sagte ich.
Er machte eine Pause, wie um das Private mit dem aktuellen Fall nicht zu vermischen. »Wir müssen von einem Verbrechen ausgehen«, sagte er.
»Ich glaube den Zeugen«, sagte ich.
»Das ist ein Widerspruch.«
»Kindisch ist das.« Sonja Feyerabend war zurückgekommen und sah nicht so aus, als sei das Gespräch mit ihrem Arzt Erfolg versprechend verlaufen. Vor den Kollegen wollte ich sie nicht darauf ansprechen.
»Hältst du die Frau für fähig, ihren Mann umgebracht und die Leiche beseitigt zu haben?«, sagte Weber.
Für einen Moment erschrak Freya Epp und spielte irritiert an ihrer Brille herum. Ihr lag eine Bemerkung auf der Zunge, die sie sich nicht auszusprechen traute.
»Nein«, sagte ich.
»Und warum nicht?«, sagte Sonja.
»Das sehe ich.«
»Der Seher wieder!«, sagte Sonja mit verzurrtem Mund. Ich sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, sich auf die Besprechung zu konzentrieren, ihre Gedanken waren bei ihrer Mutter, zu der sie ein schwieriges bis phasenweise katastrophales Verhältnis hatte, mit Anfällen von Selbsthass, besonders, wenn sie wieder einmal weder das unaufhörliche Klagen ihrer Mutter ertrug noch ihre eigene Unfähigkeit, sich nicht in den Alltag der Sechsundsechzigjährigen einzumischen, die immerhin mit einem Mann im selben Haus wohnte, den sie Lebensgefährten nannte.
Sonja dagegen hielt ihn für einen »ignoranten Faulenzer«, was wiederum ihre Mutter erboste und dazu brachte, Sonja wochenlang nicht anzurufen.
»Wieso Seher?«, fragte Freya vorsichtig.
Ich wollte nichts dazu sagen, aber Weber sagte: »Er hat mal ein paar Vermissungen aufgeklärt, an denen die anderen Kollegen gescheitert waren. Tabor hat sich ganz auf seine Intuition verlassen, er hat bestimmte Orte so lange angesehen, bis ihm was auffiel, das uns allen entgangen war, eine winzige Unregelmäßigkeit, das Fehlen von etwas. Das haben einige Reporter mitgekriegt, oder Thon hat aus Versehen in der Pressekonferenz davon erzählt, und daraufhin verpassten sie ihm in der Zeitung den Titel ›Der Seher‹. Dir war das peinlich.«
»Natürlich«, sagte ich.
»Und was siehst du, wenn du die Frau Korbinian ansiehst?«, sagte Freya.
Ich sagte: »Sie hat ihren Mann nicht umgebracht und die Leiche beseitigt, diese Frau bestimmt nicht.«
»Sie kann einen Helfer gehabt haben«, sagte Sonja. »Hat sie einen Geliebten?«
»Nein«, sagte
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