Süden und der glückliche Winkel
Körpers und speziell seiner Beine nicht.
»Die Frau lügt«, sagte Martin. »Volker wird deine Methoden mal wieder extrem unkomisch finden.«
Am nächsten Tag, Montag, begann um zehn Uhr unsere erste Konferenz, und was Volker Thon auf meine Ausführungen im Fall Korbinian hin erklären würde, wusste ich schon jetzt. Er würde sich mit gezücktem Zeigefinger am Hals kratzen und, noch gestresst vom familiären Wochenende, wesentlich zu laut erwidern:
»Der Staat bezahlt dich nicht als Tanzbär, Kollege!«
8
D ann stand Thon auf, ging zum Fenster, öffnete es und wedelte sich mit den Händen Luft zu. Wir suhlten uns im Duft seines Rasierwassers – außer Sonja, die sich hinter seinem Rücken die Nase zuhielt, eine Geste, die mir eingedenk ihrer abfälligen Bemerkungen über bestimmte Verhaltensweisen von Martin und mir – sie nannte sie kindisch – geradezu pränatal vorkam.
»Ich will persönlich mit der Frau sprechen«, sagte Volker Thon und rieb sich die Hände, als habe er sie gerade eingecremt. »Außerdem, was machst du wieder für Alleingänge? Du hattest frei am Wochenende, oder nicht? Freya hatte Dienst, Florian Nolte auch, zur Not hätten die beiden die Aussagen überprüfen können. Es hätte aber gereicht, wenn du heute damit begonnen hättest, zusammen mit Sonja oder Weber. Erklär mir das!«
»Ich bin davon ausgegangen, dass Annegret Marin weiß, wo Korbinian sich aufhält«, sagte ich.
»Gut«, sagte Thon und blickte in die Runde, die aus neun Kriminalisten bestand. Insgesamt arbeiteten im Kommissariat 114 dreizehn Kollegen, zwei waren derzeit in Urlaub und zwei krank. »Sie wusste es nicht, entnehm ich deinem Bericht. Stattdessen haben wir Zeugen, die den Mann gesehen haben. Oder nicht? Oder hatten sie Halluzinationen bei der Hitze?« Er öffnete die Tür zum Nebenraum. »Bitte rufen Sie die Frau Korbinian an, Erika, sie soll herkommen.« Dann schloss er die Tür und ging zu seinem Schreibtisch, beugte sich über ihn und stieß einen kehligen Laut aus. Dann drehte er sich ruckartig um.
»Wenn die Journalisten deine Geschichte erfahren, sind wir fällig«, sagte er, an mich gewandt. Thons Verhältnis zur Presse war zweischneidig, einerseits wusste er um die Notwendigkeit, mit den Reportern zu kooperieren, andererseits behauptete er hinterher jedes Mal, wir hätten den Fall auch ohne »diese Geier« zu einem guten Ende gebracht. Hin und wieder ließ er sich in einer Pressekonferenz durch Fragen provozieren und maulte dann zurück.
Fabelhaftes Fressen für gewisse Journalisten.
»Die Zeugen haben den Mann eindeutig identifiziert«, sagte ich.
»Lächerlich«, sagte Thon, nahm einem der Kollegen die fotokopierte, zusammengeheftete Akte aus der Hand und blätterte darin. »Der Zeuge in der Kirche hat ein hellblaues Hemd gesehen und das Gesicht nur zur Hälfte, jedenfalls nicht genau und nicht über einen längeren Zeitraum, und der Busfahrer beim Griechen… Wieso haben die Kellner den Korbinian nicht gesehen? Das glaubt doch kein Mensch. Da macht sich einer wichtig, und du bist drauf reingefallen! Und diese Freundin? Geliebte? Die gehen am Fluss spazieren? Er führt den Hund aus? Aber niemand hat ihn gesehen? Innerhalb dieses geringen Radius? In diesen paar Straßen? Und hier, Magnus Horch, der weiß ja gar nichts! Er erwähnt eine Geliebte, und dass sein Kollege impotent ist, das weiß er. Sonst nichts.«
»Kommt dir das nicht merkwürdig vor?«, sagte ich.
»Jetzt sind wir einer Meinung«, sagte Thon.
Ich sagte: »Ich meine nicht, was Horch weiß oder nicht. Ich meine die Tatsache, dass er sowohl seinem Kollegen Horch als auch seiner Frau und seinem Arzt gesagt hat, er sei impotent, aber niemand weiß, ob das überhaupt stimmt.«
Kurzfristig herrschte in der anstrengenden Luft und bei dem Straßenlärm, der durch das offene Fenster hereindrang, große Aufmerksamkeit.
»Der Arzt hat ihn nicht untersucht«, sagte ich.
»Korbinian hat eine Untersuchung abgelehnt.«
»Steht hier«, sagte Thon und ließ den Mittelfinger auf eine Seite der Akte schnalzen. »Was sagt uns das? Er täuscht bei seiner Frau Erektionsprobleme vor, um in Ruhe mit seiner Freundin schlafen zu können?«
»Eben nicht«, sagte ich.
Wieder gab Thon diesen kehligen Laut von sich, den ich von ihm noch nie gehört hatte, es klang wie das Röcheln einer Krähe. Vielleicht hatten ihn seine beiden Kinder übers Wochenende in einer Voliere eingesperrt, oder er hatte sich in jüngster Zeit häufig mit einem Beo unterhalten
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