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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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unwirklich groß wirkten. »Hast du Nummer fünfzehn gelesen?«
    Nummer fünfzehn war die Aufzeichnung eines Anrufers, der Cölestin Korbinian ebenfalls am Vortag im »Sebastianseck«, einem griechischen Lokal nicht weit entfernt von der Heiliggeistkirche, gesehen haben wollte.
    Die meisten der übrigen Anrufer hielt ich für Mitsprecher, Leute, die im schlimmsten Fall Trittbrettfahrer waren oder bloß Wichtigtuer, die sich regelmäßig bei uns meldeten, wenn wir um Mithilfe bei einer Fahndung baten, ohne jemals auch nur den geringsten Beitrag leisten zu können, und die meiner Einschätzung nach früher oder später in einer Nachmittagstalkshow landeten, wo sie vielleicht hingehörten.
    Und dann hatte Freya noch den Anruf einer Frau aufgenommen, die im Haus der Kunst an der Kasse arbeitete und sich »ziemlich bis ganz sicher« war, wie sie sich ausdrückte, Korbinian am Vorabend im Foyer beobachtet zu haben, wie er mit dem Angestellten der Cafeteria gestritten habe. Worum es gegangen war, konnte sie nicht sagen, sie habe sich nur gewundert, weil dieser Angestellte, praktisch ein Kollege von ihr, den sie seit langem kenne, sonst nie laut werde oder mit Gästen streite.
    Sie habe dringend auf die Toilette müssen, und als sie zurückgekommen sei, habe sie den Vorfall vergessen gehabt, zumal sich kein einziger Gast mehr in der Vorhalle aufgehalten und der Angestellte bereits damit begonnen habe, die letzten Speisen aus der Vitrine zu räumen.
    »Wir warten noch mit einer Meldung ans LKA«, sagte ich.
    »Wie gehts Martin?«, fragte Freya.
    »Nicht gut«, sagte ich.
    »Warst du schon mal in so einer Situation?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Aber du warst doch beim Mord früher.«
    »Auf mich ist nie geschossen worden«, sagte ich. »Und ich selber habe auch nie geschossen. Die Schießübungen sind überflüssig, reine Munitionsverschwendung.«
    »Das kannst du nicht wissen«, sagte Freya. »Als Polizist kannst du immer in eine kritische Situation kommen, wo du dich verteidigen musst, auch mit der Waffe.«
    »Dann muss ich aber erst nach Hause laufen und die Pistole aus der Schublade holen«, sagte ich.
    »Du hast sie nicht in deinem Büro?«, sagte die junge Oberkommissarin mit großen Augen.
    »Sag es nicht weiter.«
    »Du bist schon ein eigenartiger Polizist«, sagte sie.
    »Ich rufe dich von unterwegs an.«
    »Kauf dir doch endlich mal ein Handy!«
    »Wozu denn?«
    »Ist praktischer.«
    »Ach was.«
    Bevor ich das Lokal betrat, ging ich auf dem Bürgersteig ein paarmal auf und ab, dann auf der Straße zwischen den geparkten Autos und dem hohen Bretterzaun der Baustelle, die nie fertig wurde. Ich blieb vor dem Hotel »Blauer Bock« gegenüber dem griechischen Restaurant stehen, überblickte den St. Jakobsplatz und dachte daran, wie ich vor drei Tagen nur zweihundert Meter von hier entfernt genauso verwundert dagestanden hatte und mir keinen Reim auf das Verhalten eines Mannes machen konnte, der offenbar mitten unter uns spazieren ging, und zwar hauptsächlich in einem Radius von etwa einem Kilometer um seine Wohnung, nicht gewillt dorthin zurückzukehren, ohne erkennbares Ziel, aus einem dunklen, unbegreiflichen Motiv heraus.
    Weder der Wirt noch die beiden Kellner hatten den Mann auf dem Foto, das ich ihnen zeigte, schon einmal gesehen.
    »Er soll gestern hier gewesen sein«, sagte ich.
    »Gestern war viel los«, sagte der Wirt.
    »Draußen voll, drinnen auch voll«, sagte einer der Kellner, der gebückt ging.
    »Woher wissen?«, sagte der andere Kellner zu mir. Ich erklärte ihm, dass uns ein Gast angerufen hatte.
    »Was für Gast?«
    »Er heißt Eberhard Stamm«, sagte ich.
    »Stamm?«, sagte der Wirt. »Gast Stamm? Stammgast!« Sekundenlang lachte er sich krumm, sodass er in dieser Haltung seinem Angestellten glich.
    »Kennen Sie ihn?«, sagte ich.
    »Namen, nein«, sagte der zweite Kellner, und ich bemerkte einen Goldzahn in seinem Mund.
    Von einer Telefonzelle auf dem verlassenen Viktualienmarkt aus rief ich die Handynummer des Anrufers an, die Freya notiert hatte. Es passte Eberhard Stamm überhaupt nicht, dass ich ihn aufforderte, ins »Sebastianseck« zu kommen. Er sonnte sich am Flaucher, trank Bier mit Freunden und hatte anscheinend diverse Damen im Visier, deren Körper er dringend beim Bräunen zusehen musste.
    »Sie brauchen sich nicht zu beeilen«, sagte ich. »Ich schicke Ihnen eine Streife vorbei, die bringt Sie entspannt hierher.«
    »Superidee!«, sagte er.
    Eine halbe Stunde später stieg er direkt vor

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