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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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da eine Schreinerei. Ich war nie dort.«
    »Und Edwards Vater?«, sagte ich und stellte die Tasse auf den Tisch zurück. Martin lächelte, ohne aufzublicken.
    »Amerikaner«, sagte Mildred Loos. »Marvin hieß er, ich war einundzwanzig. Er ist zurück in sein geliebtes Rochester, das im Bundesstaat New York, er sagte damals, er braucht seinen Ontariosee, ohne den könne er nicht existieren. Was wollen Sie da sagen? Er liebte seinen See aus der Kindheit mehr als mich und seinen Sohn.«
    »Sie waren nicht verheiratet«, sagte ich.
    »Doch, ich war zweimal verheiratet, zuerst mit Marvin Groome, später mit Victor Toulouse. Und ich wurde zweimal geschieden. Jedes Mal habe ich meinen Namen behalten und meinen Mann verloren.«
    Sie trank die Tasse aus, stellte sie auf den Bücherstapel, stand auf und ging mit schnellen Schritten zum Schreibtisch, wühlte in Zetteln und zog ein Foto aus dem Wust.
    »Entschuldigung«, sagte sie und ging hinaus in den Flur.
    »Das Bild habe ich einer Schauspielerin bei uns versprochen«, erklärte sie, als sie zurückkam. »Wenn ich mir so was nicht vor die Wohnungstür lege, vergess ich es hundertprozentig.«
    »Sie arbeiten am Volkstheater«, sagte ich.
    »Seit sechzehn Jahren.«
    »Immer als Souffleuse.«
    »Anfangs habe ich auch kleinere Rollen gespielt, je nach Intendanz.« Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander und sah Martin und mich einen nach dem anderen an, als wäge sie unsere Ziele ab.
    »Sie waren früher Schauspielerin«, sagte ich. Es waren nur Sekunden, in denen die Vergangenheit sie heimsuchte.
    »Ganz früher«, sagte sie. »Heute gebe ich manchmal Unterricht, an der Volkshochschule, auch privat, wenn es sich ergibt. Außerdem arbeite ich sporadisch als Dramaturgin. Das Theater ist meine Lieblingswelt.« Ihr Mund formte ein hastiges Lächeln.
    »Frau Loos«, sagte ich. »Erzählen Sie uns etwas über Ihre beiden Söhne, über Ihr Verhältnis zu ihnen und vor allem über Edward, um dessen Verschwinden wir uns sorgen.«
    »Erst die Väter«, sagte sie, »dann fangen auch die Söhne an zu verschwinden. Bisher dachte ich, dass sich immerhin Edward eine solide Existenz aufgebaut hat, und jetzt sagen Sie, er kommt extra nach München, um Luftgitarre zu spielen. Als Kind war er jedenfalls so unmusikalisch, dass er nicht mal Blockflöte gelernt hat, so was hatte die Lehrerin noch nicht erlebt.«
    Sie sah uns an, schlug die Hände vors Gesicht und nahm sie wieder herunter. »Wenn ich meine Familie so anschaue, frage ich mich, ob Loos von Loser kommt, was meinen Sie?«

4
    H ätte man nicht gehört, was sie sagte, wie in einem Film, dessen Ton abgeschaltet ist, und sie nur betrachtet, zurückgelehnt auf der Couch, das eine Bein aufgestützt, man hätte meinen können, sie plaudere bloß. Hin und wieder fuhr sie sich mit Daumen und Zeigefinger über die Mundwinkel, sah Martin und mich abwechselnd an, und wenn sie kurz lächelte, wandte sie den Blick schnell von uns ab. Es kam mir dann vor, als lächele sie nur für sich allein. Ich hörte ihr vom Fenster aus zu, vor dem ich regungslos stand, die Hände auf dem Rücken, und zügelte meine Gedanken an ein anderes Zimmer, an eine andere Frau.
    »Aber es stellte sich heraus, dass Edward ein überdurchschnittlich stilles Kind war«, sagte Mildred Loos. »Mein Mann gab sich wirklich Mühe und er war auch nicht gerade ein Quassler. Wenn er was zu unserem Jungen sagte, dann nur auf Englisch. Das war auch für mich gut, ich lernte am meisten in dieser Zeit. Jedenfalls mehr als mein Mann Deutsch lernte.«
    »Hatten Sie vor, mit ihm nach Amerika zu gehen?«, fragte Martin.
    Sie fuhr sich mit den Fingern über den Mund und drehte den Kopf zu mir, als erwarte sie die Antwort von mir.
    »Das weiß ich nicht mehr. Mein Mann war Musiker, er spielte Trompete und Klarinette auch, er war mit Anfang zwanzig schon Mitglied in einer Big Band, The Syracuse Jazzband. Aber sie spielten nicht nur Jazz, sie hatten auch die neuen Sachen im Repertoire, Beatles, Bee Gees, Popmusik, ich glaube, sie waren noch auf der Suche, elf hochtalentierte Musiker, einer von ihnen war Marvin. Er blieb dann da, for experiences, wie er sagte, er trat in Berlin, in Hamburg auf der Reeperbahn auf, er spielte im Schwabinger ›Domizil‹, mit berühmten Leuten aus den USA, die hier gastierten. Und ich war schwanger.«
    »Und Sie waren Schauspielerin«, sagte ich.
    »Ich habe damals schon viel synchronisiert«, sagte Mildred Loos. »Das machte sonst keiner aus dem

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