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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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vereiterte Wurzeln, er musste Antibiotika nehmen, was ihn zusätzlich schwächte, es war eine Niederlage nach der anderen. Jahrelang.«
    »In dieser Zeit hatten Sie engen Kontakt zu ihm«, sagte ich.
    »Nein«, sagte sie. »Ich hatte keinen engen Kontakt.« Sie leckte sich die Lippen, kontrollierte mit einem hastigen Blick die Mineralwasserflasche, die vor Martin auf dem Tisch stand, sah mich an und setzte sich auf die Couch, ganz vorn auf die Kante. »Er wollte mich nicht sehen, er genierte sich. Anfangs hatte er oft Besuch von Presseleuten, er war so was wie ein Star. Nein, er war ein Star, ein großes Talent, eine Weile habe ich die Artikel ausgeschnitten, ich war schon stolz. Ich war auch besorgt, aber vor allem war ich stolz.«
    »Wo war Edward zu der Zeit?«, fragte Martin.
    »Schon in Frankfurt. Studierte Architektur, er war fast fertig, er redete nicht viel über seinen Beruf, seine Ziele. Er redete so wenig wie als Kind. Ab und zu rief er an, zum Geburtstag, Weihnachten.« Sie verstummte.
    »Haben Sie ihn vermisst?«, fragte Martin. Sie brauchte einige Zeit für die Antwort. »Ich hätte ihn gern öfter gesehen, mit ihm geredet, nur so, ich war nie eine klammernde Mutter. Dazu hatte ich auch gar keine Zeit. Ich hab mich gefreut, wenn er anrief, ich erinnere mich, wir haben schon mal eine Stunde telefoniert oder länger.
    Wir waren in Kontakt. Auf die Entfernung.«
    »Worüber haben Sie in der Stunde gesprochen?«, fragte ich.
    »Über mich!« Es sah aus, als würde ihr Lächeln an den Wangenknochen abprallen. »Fast nur über mich, ich erzählte ihm von meiner Arbeit, von den Stücken, den Regisseuren, meinem Alltag, den Synchronsachen, die ich heut noch mache. Davon komm ich nicht los, es ist im Grunde Unsinn, ich hab eigentlich keine Zeit dafür. Die Gewohnheit. Macht auch Spaß. Ist ja auch ein wenig Spielen. Sieht halt niemand. Sie stehen in einem Studio, leihen einem anderen Schauspieler Ihre Stimme und spielen gleichzeitig seine Rolle mit. Interessiert niemanden, niemand sieht, was Sie spielen, und wenn Sie sich noch so verausgaben. Nach all den Jahren bin ich da noch immer gern, im Halbdunkel, vor der Leinwand, die Mikrofone um mich herum.« Sie hob den Kopf. »Was war Ihre Frage?«
    »Sie haben mit Edward hauptsächlich über sich gesprochen«, sagte ich.
    »Hauptsächlich. Von ihm erfuhr ich kaum etwas. Nur, dass er vorankommt, dass was weitergeht, wie er immer sagte. Es geht was weiter, sagte er. Es geht was weiter. Was wollen Sie darauf antworten? Ich war froh, dass in seinem Leben was weiterging, ich war mir nämlich nicht sicher, was aus ihm werden sollte. Er war nicht schlecht in der Schule, mittelmäßig, sehr gut in Physik und Mathematik, unterirdisch schlecht in Musik und Deutsch. Sport hat ihn auch nicht interessiert. Als er Abitur machte, spielte Aladin schon bei den FC-Bayern-Schülern. Aladin hatte sich angemeldet, ohne mir vorher Bescheid zu sagen. Das war sein großer Traum: Mittelfeldspieler beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft. Mittelfeldspieler. Nicht Stürmer oder Torwart, Mittelfeldspieler.«
    Von draußen drang das Geschrei von Kindern herein, wahrscheinlich tollten sie über den Spielplatz, vor dem unser Auto stand, und bewarfen sich mit nassem Schnee. Mein Magen knurrte, was Mildred Loos nicht entging.
    »Soll ich Ihnen Gemüsesuppe heiß machen?«, sagte sie.
    »Nein«, sagte ich. »Aladin beendete dann seine Karriere.«
    Sie hielt sich die Hand vor den Mund und nahm sie erst nach ein paar Worten weg. »Er hatte gerade das Haus gekauft, ein Freund von ihm hatte es vermittelt, in der Lerchenau, Sie werden es ja sehen, ein bescheidenes Einfamilienhaus. Er wollte es vermieten, was sonst. Es sollte nur ein Anfang sein. Welcher Spitzenfußballer, der beim FC Bayern spielt, kauft sich ein Haus in der Lerchenau? Er hatte das Angebot bekommen und es gefiel ihm, dass er sich ein Haus leisten konnte. Dann begannen seine Unfälle, die Operationen, also zog er selber ein. Der Verein bezahlte ihn weiter. Nicht endlos. Jedenfalls lange genug, damit er die Hoffnung nicht aufgab. Der Manager kümmerte sich um ihn, das hat mich überrascht, nach außen wirkte er in meinen Augen oft arrogant und kalt, anscheinend war er das nicht. Aladin hielt große Stücke auf ihn. Ich wollte mich auch kümmern. Wollte er nicht. Er hatte eine Freundin, Esther. Sie wohnte mit ihm zusammen. Eine Zeit lang. Bis sie merkte, er wird nichts mehr, aus ihm wird kein Star mehr, da ist sie verschwunden. Ich hab

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