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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Kollegenkreis, damit verdiente ich mein Geld. Ich spielte auf den kleinen Bühnen, die es so gab, und versuchte, ans Staatstheater zu kommen oder an die Kammerspiele. Ich war einundzwanzig, als Edward auf die Welt kam. Marvin hat für ihn einen Song komponiert, ›Every day a sunrise‹ hieß er, Marvin hat ihn öfter gespielt, und es gibt eine Aufnahme davon. Leider zeigte Edward so gar kein Interesse an musikalischen Dingen. Musik hat ihn eher gelangweilt. Wenn Marvin ihm etwas auf der Trompete vorspielte, schlief er ein. Einerseits war das nicht unpraktisch, andererseits natürlich enttäuschend. Nein. Es war alles in Ordnung, ich kümmerte mich um das Kind, Marvin machte Musik und brachte Geld nach Hause. Wir wohnten nicht weit von hier, in der Gudrunstraße, da ist auch das Rotkreuzkrankenhaus in der Nähe, in dem meine beiden Söhne geboren wurden. Eigentlich wollte ich immer in Schwabing wohnen, aber es klappte nicht, es ist mir nicht gelungen.«
    »Warum nicht?«, fragte ich. Meine Neugier auf Antworten, die scheinbar nichts mit der Klärung eines Falles zu tun hatten, brachte manche meiner Kollegen aus der Fassung, nicht jedoch Martin, der sich die Aussagen sogar notierte. Jetzt sah er zu mir her und nickte.
    »Die wollten mich nicht«, sagte Mildred Loos.
    »Wer?«, sagte Martin.
    »Die Schwabinger. Die wollten mich nicht. Heute will ich nicht mehr. Neuhausen ist auch eine gute Gegend.« Sie streckte das Bein, das sie aufgestützt hatte, setzte sich gerade hin, schaute mit zerfurchter Stirn zur Tür und kratzte sich mit einer nervösen Bewegung an der Hand.
    »Was soll ich Ihnen von Edward erzählen? Außer dass er spät zu sprechen anfing, war er ein normales Kind. Schlief viel, weinte wenig, was wollen Sie als junge Mutter mehr, wenn Sie jeden Tag an den nächsten Ersten denken müssen, weil Sie kein Geld haben und eine unsichere Arbeit? Nach drei Jahren wollte Marvin plötzlich nach Hause zurück. Nach Hause. Nicht dass ich wirklich überrascht gewesen wäre, so naiv war ich nicht. Nein, weil Sie mich vorhin gefragt haben…« Sie lehnte sich zurück und wirkte eigenartig entspannt, distanziert zu dem, was sie uns erklärte. »Nein, ich dachte nie ernsthaft daran, nach Amerika zu gehen. Ich wollte als Schauspielerin arbeiten, jedenfalls in diesem Umfeld, was hätte ich da drüben für Chancen gehabt? Ich beherrschte nicht einmal die Sprache. Wir brachten die Sache hinter uns, mein Mann und ich. Er sagte, Edward könne bei mir bleiben, dürfte ihn aber immer besuchen und auch bei ihm leben, falls er das später wünschen sollte. Er jedenfalls müsse zurück zu seinem See… Drei Jahre. Ich bemühte mich noch intensiver, für Edward da zu sein, er ging in den Kindergarten, und er war beliebt bei den Kindern, an manchen Tagen brachte ich ihn bei anderen Eltern unter, mit denen ich mich angefreundet hatte. Und ich machte immer noch synchron, meine Qualitäten hatten sich herumgesprochen. Viele Kollegen verdienten inzwischen auf diese Weise ihr Geld, aber sie hatten eben noch andere Verpflichtungen und Engagements.«
    »Sie nicht?«, sagte ich.
    »Die Zeit lief mir davon«, sagte sie, an mich gewandt, bevor sie nachdenklich zum Schreibtisch blickte. Dann stand sie auf, blieb einen Moment stehen und strich sich wieder mit den Fingern über die Mundwinkel. »Ich sitze jeden Abend, stört es Sie, wenn ich mich etwas bewege?«
    »Natürlich nicht«, sagte ich.
    »Könnt ich ein Glas Wasser bekommen?«, fragte Martin.
    »Entschuldigen Sie!«, sagte sie und machte sich mit schnellen Schritten auf den Weg. Kurz vor der Tür blieb sie ruckartig stehen und drehte sich um. »Möchten Sie noch einen Kaffee?«, fragte sie mich.
    »Nein«, sagte ich.
    Als sie draußen war, sagte Martin: »Er hat mit keinem Wort seinen Bruder erwähnt, die ganze Woche nicht, ich bin mir ganz sicher.«
    Ich sagte: »Trotzdem hat er sich mit ihm getroffen.«
    »Aber warum ist er verschwunden?«
    »Wir müssen sichergehen, dass er sich tatsächlich mit seinem Bruder getroffen hat«, sagte ich.
    Mildred Loos brachte eine Flasche Mineralwasser und ein Glas, das sie bereits gefüllt hatte.
    »Danke«, sagte Martin.
    »Darf ich mal telefonieren, Frau Loos?«, sagte ich.
    »Sicher.« Sie deutete auf den Schreibtisch. Ihre Verwunderung war nicht zu übersehen.
    »Wir haben beide kein Handy«, sagte ich.
    »Das ist bestimmt ungewöhnlich in Ihrem Beruf«, sagte sie.
    »Ja«, sagte ich. »Aber das sind wir sowieso.«
    Etwas ratlos ging sie zur Couch,

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