Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
behauptete unverdrossen, Vanessa und sie seien seit einem Monat total zerstritten, eine Lüge, wie Sonja aus den Vernehmungen anderer Schüler wusste. In spätestens zwei Stunden aber, meinte Sonja, werde Anke nach einem tränenreichen Finale das Spiel aufgeben, das stehe fest.
    »Störrische Gören zu knacken ist eine Spezialität von ihr«, sagte Martin. Er fuhr wie immer bedächtig, nach vorn gebeugt, als sehe er schlecht, unterschritt als einziger Verkehrsteilnehmer auf der Ringstraße die Höchstgeschwindigkeit und nahm das Quietschen des Scheibenwischers anscheinend so wenig wahr wie das Hupen und die Gesten der Leute in den Fahrzeugen, die uns überholten. Sich von Martin Heuer chauffieren zu lassen hieß, die Poesie der Dauer erleben und Nachsicht üben, zirka zweimal pro Kilometer.
    »Hätt ich nicht gedacht, das mit euch«, sagte er. »Du als altgedienter Zugehmann.«
    So hatte er mich noch nie genannt.
    »Wie meinst du das?«, sagte ich.
    Aber er antwortete nicht, vermutlich weil er sich auf das Umschalten der Ampel konzentrieren musste.
    »Wir müssen die Nächste rechts«, sagte ich, nachdem wir lange Zeit auf der Lerchenauer Straße unterwegs gewesen waren. Das Einfamilienhaus, das wir suchten, befand sich in der Irisstraße und sah so unauffällig und bescheiden aus wie die meisten Häuser im Viertel, ein Holzzaun grenzte den kleinen Vorgarten zum Bürgersteig hin ab, das Dachgeschoss war ausgebaut und hatte ein rundes Fenster wie ein Bullauge.
    Ein paar Meter entfernt parkte ein Streifenwagen. Ich bedankte mich bei den Kollegen, und sie fuhren davon. Bis zur Haustür stapften und schlitterten Martin und ich durch grauen Schneematsch. Ich musste mehrmals klingeln, bis jemand öffnete.
    »Super!«, sagte der Mann an der Tür. »Ich wart hier schon eine Stunde auf euch!«
    Ich sagte: »Schon sind wir da.«
    »Und?«, sagte der Mann, nachdem wir uns nicht von der Stelle bewegten. »Gibts einen Ausweis?«
    »Unbedingt«, sagte ich.
    Er betrachtete die blaue, in Plastik eingeschweißte Karte mit meinem Foto. »Von mir aus!« Ohne ein weiteres Wort verschwand er im Haus.
    Im Flur hing ein gerahmtes Bild neben dem anderen, unzählige Szenen aus Fußballspielen, Aufnahmen des jungen Aladin im Kreis seiner Mitspieler und allein, die Arme zum Himmel gereckt, ausgelaugt am Spielfeldrand oder beim Training, Schnappschüsse von namhaften Bundesligaspielern, Zeitungsartikel, Lobeshymnen auf den jungen zukünftigen Star, Postkarten aus England, Italien und Spanien, Aufnahmen von lachenden jungen Frauen, von jubelnden Fans, von Fahnenmeeren in Stadien.
    »Besichtigung beendet?«, sagte der Mann, der uns hereingelassen hatte und nun an die Terrassentür gelehnt dastand, die Arme verschränkt, mit vor Ungeduld federnden Beinen. Er trug eine olivgrüne Militärhose, dazu weiße wuchtige Sportschuhe, einen dunkelbraunen Pullover, darunter ein weißes Poloshirt, dessen Kragen zu sehen war, und eine schwarze Wollmütze. Sein Gesicht wirkte hart und verschlossen, und er blinzelte hektisch. Wenn man ihn länger betrachtete, merkte man, dass er sich die selbstgefällige Masche nur mühsam antrainiert hatte, schon das Auftauchen zweier Polizisten in Zivil verunsicherte ihn bis unter die Mütze.
    »Bin ich ein Objekt oder was?«, blaffte er.
    »Bitte?«, sagte ich.
    Unaufgefordert setzte Martin sich an den Tisch aus massivem dunklem Holz, der das einzige wertvolle Möbelstück zu sein schien. Außer einer hellen, abgewetzten Ledercouch gab es in diesem Zimmer nur noch einen billigen Glasschrank, zwei Stühle, die wahllos herumstanden, einen grünen Teewagen mit angebrochenen Wein und Schnapsflaschen darauf, einen auf dem Boden stehenden großen Fernseher, daneben einen Videorecorder und stapelweise Kassetten. Keine Regale, keine Bilder an den Wänden, keine Pflanzen. Der graue Auslegeteppich war so schmutzig wie die Fenster. Zumindest funktionierte die Zentralheizung. Schon beim Betreten hatte das Haus einen trostlosen, leblosen Eindruck auf mich gemacht, als würde es demnächst entkernt oder abgerissen werden.
    »Was wollt ihr jetzt?«, sagte der Mann und ruckte mit dem Kopf.
    »Wie heißen Sie?«, fragte Martin, seinen Din-A4-Block vor sich.
    »Distel.«
    »Vorname?«
    »Ist das wichtig? Richard. Sag Rick zu mir!«
    Ich sagte: »Hören Sie bitte auf, hier rumzuduzen!«
    »Was soll ich?«
    Bestimmt war es spannend, längere Zeit neben ihm am Tresen einer Kneipe zu stehen.
    »Wo ist Ihre Freundin?«, sagte ich.
    »Aufm Klo«,

Weitere Kostenlose Bücher