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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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das auf mein Trommelfell einhackte, und ich hörte das Rauschen des Gefieders und roch den süßlichen Duft der Frau, und ich kam nicht von der Stelle, ich fing selber an zu weinen und das widerte mich an, und ich dachte, jetzt passe ich genau auf, wenn der Vogel auf mich zufliegt, schlage ich mit der Faust nach ihm, und ich werde ihn nicht verfehlen, ich nicht. Und im nächsten Moment wünschte ich, ich hätte einen anderen Beruf, in dem ich Antworten habe und Taten vollbringe und kein verrückt gewordener gelber Kanarienvogel mich lächerlich macht, und wenn ich dann aufwachte, nass im Gesicht und mit klopfendem Herzen, wünschte ich es noch eine Weile weiter. Herr Kommissar, sagten die Leute oft, Sie müssen doch Verständnis haben. Ja, aber manchmal begriff ich mein Verständnis nicht.
    »Jetzt sind wir schon wieder in dieser Gegend«, sagte Martin vor dem Haus von Genoveva Viellieber. Es war dunkel und still. Keine Lerche besang die Lerchenau. Ich kam aus einer anderen Wirklichkeit.
    Bevor wir aufgebrochen waren, hatten wir beschlossen, eine Stunde Auszeit zu nehmen. Martin ging in ein türkisches Lokal in der Goethestraße unweit des Dezernats, und ich machte Sonja einen Vorschlag, der sie verblüffte. Aber sie folgte mir mit einer Aura von Schüchternheit, die ihre Bewegungen zierte.
    »Alles bereit«, sagte dann Jonathan, der an diesem Abend an der Hotelrezeption Dienst hatte.
    »Ich weiß nicht«, sagte Sonja im Aufzug. »Also…
    wirklich…«
    Weder Martin noch ich hatten daran gedacht, noch einen Blick ins System zu werfen. Nach unserer Rückkehr ins Dezernat schalteten wir die Computer aus und verabschiedeten uns von Sonja, die noch immer verblüfft war, allerdings auf andere Weise als vor einer Stunde. Die Meldung erreichte uns erst am nächsten Tag.
    »Ich hab Tee gekocht«, sagte die etwa sechzigjährige Frau im dunkelblauen knöchellangen Kleid.
    »Frau Viellieber«, sagte ich, »hatten Sie neulich Besuch von Edward Loos?«
    »Ja«, sagte sie.

7
    V om Fenster aus blickte sie hinunter auf die Straße, an der in dreihundert Metern Entfernung unser Dezernat lag. Im weißen Bademantel stand sie mit dem Rücken zu mir im milden gelblichen Licht des Zimmers, eine Hand an der Scheibe, den Kopf leicht zur Seite gedreht, als wolle sie sich nicht vollständig von dem abwenden, was hinter ihr geschah. Doch ich bewegte mich nicht. Seit einer Weile genoss ich mit geschlossenen Augen den Geruch unserer Körper, das Sirren der Haut, die Rinnsale in ihrem Nacken, er gehörte weder ihr noch mir, es war der Duft der Entfernung zwischen uns, und das Sirren der Haut war das Echo eines Schreis, der unsere Stimmen gefressen und uns mit entleertem Atem zurückgelassen hatte. Und weil wir alle Blicke, die wir den Nachmittag über aufgespart hatten, in der vergangenen halben Stunde ausgegeben hatten, schauten wir einander nicht an. Auch nicht, als ich mich an sie schmiegte und die Arme um sie schlang, auf die sie ihre Hände legte. Von sehr weit her drangen die Geräusche der Straße zu uns. In einer anderen Stadt würden wir vielleicht ins Bett zurückkehren und schon am Fenster von neuem beginnen.
    »Jetzt hätt ich gern ein Stück Erdbeerkuchen«, sagte Sonja.
    »Ich rufe den Zimmerservice«, sagte ich.
    »Du spinnst ja.«
    Mit einem Ruck, der meine Umarmung sprengte, drehte sie sich zu mir um.
    »Ich hab mich von dir abschleppen lassen«, sagte sie.
    »In ein Hotelzimmer! Während der Dienstzeit!«
    »Das stimmt«, sagte ich.
    Sie schaute an mir herunter. Im Gegensatz zu ihr trug ich keinen Bademantel. Sie legte ihre Hand auf mein Geschlecht, flach, als müsse sie es vor jemandem verbergen oder schützen, und ich betrachtete ihre hohe Stirn und die schmale Nase, deren Spitze leicht nach oben zeigte, ohne dass sie deswegen wie eine Stupsnase wirkte, ihre Wangen und ihre geschwungenen Lippen, deren Anblick mich erregte.
    »Nein, nein«, sagte Sonja und nahm die Hand weg. Sie machte den Eindruck, als hätten wir zum ersten Mal zusammen geschlafen und ich hätte sie überrumpelt. Ich ging an ihr vorbei, zog meinen Slip und mein T-Shirt an, kehrte um und umarmte sie wortlos. Sie fragte nichts. Dann ließ ich sie los, strich ihr über die Wangen und verschränkte die Arme.
    »Woher kennst du den Mann an der Rezeption?«, sagte sie.
    »Ich habe ihm seine Frau zurückgebracht«, sagte ich. Sonja wartete, ob ich weitersprach, aber weil ich schwieg, ging sie ins Bad und duschte ein zweites Mal, diesmal allein. Anschließend tat

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