Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
waren, die ihm den Weg versperrten, er eliminierte sie, präzise und auf eine bedrohliche Weise wortkarg.
    »Wie lange war Edward Loos bei Ihnen?«, sagte er.
    »Eine Stunde«, sagte Genoveva Viellieber, starrte ihm ins Gesicht, drehte den Kopf zu mir, starrte mir ebenfalls ins Gesicht und wartete offensichtlich darauf, dass ich einen Laut von mir gab.
    Ich schwieg. Die Katze auf meinem Schoß schnurrte.
    »Nein«, sagte Martin.
    Genoveva Viellieber reagierte nicht. Unverändert sah sie mich an, als wolle sie mich herausfordern, etwas zu sagen, sie wirkte ebenso angespannt wie traurig, und diese Traurigkeit, die wie eine Folie über ihrem hellen, anziehenden Gesicht lag, schien von Minute zu Minute mehr von ihr Besitz zu ergreifen.
    »Edward Loos war länger als eine Stunde bei Ihnen«, sagte Martin. Inzwischen hatte er die Beine unter dem Tisch ausgestreckt und sich gerade so weit zurückgelehnt, dass seine Arme noch bis zur Tischkante reichten. Er legte die Hände flach nebeneinander wie ein Schüler, der seine Fingernägel vorzeigen muss. »Sie haben Edward Loos alles erzählt, was sie von Aladin wissen, und Sie wissen sehr viel von ihm. Viel mehr als wir.«
    Als bereite es ihr große Mühe, drehte sie sich zu ihm um, zuerst mit dem Kopf, dann mit der Schulter, langsam, wie unter Schmerzen.
    »Nein«, sagte sie. »Nein.«
    »Sie haben Aladin nicht vor einem Jahr zum letzten Mal gesehen«, sagte Martin mit ausdrucksloser Miene.
    »Doch«, sagte sie. »Doch.« Es sah aus, als würde sie sich mit ihrem Blick an Martin festklammern.
    »Nein«, sagte er.
    Mehrmals strich sie sich mit der rechten Hand über die linke, nickte, falls ich ihre Kopfbewegung richtig deutete, und griff nach der Teetasse, ohne sie hochzuheben.
    »Reden Sie mit uns!«, sagte Martin. Mit einem Ruck beugte er sich vor, nahm den Kugelschreiber und klopfte damit auf den Block. »Wir sind hier im Dienst, Frau Viellieber, wir haben hier eine Vermisstenanzeige…« Nur mit dem Zeigefinger schlug er die Akte auf. »Mildred Loos hat ihre Söhne als vermisst gemeldet, einer der beiden ist seit einem Jahr verschwunden, das sagen die Zeugen, die wir bisher vernommen haben. Seit ich hier bei Ihnen sitze , glaub ich aber, Sie wissen genau, wo Aladin steckt, und Sie haben es Edward gesagt, also sagen Sie es gefälligst auch uns! Was wir hier machen, ist eine Vernehmung, Sie müssen hinterher ein Protokoll unterschreiben, Ihre Aussagen sind Teil einer polizeilichen Ermittlung, also reißen Sie sich bitte zusammen! Sollen wir Sie in Ihrer Bank aufsuchen, mit Ihren Kollegen sprechen, mit Ihrem Chef? Das werden wir tun, wenn Ihre Aussagen unglaubwürdig sind. Bestimmt haben Sie einen Grund, sich so zu verhalten, wie Sie es die ganze Zeit tun. Sagen Sie uns den Grund, reden Sie offen mit uns, Sie werden uns sowieso nicht los. Wann haben Sie Aladin zum letzten Mal gesehen? Wo ist er jetzt? Und wohin haben Sie Edward Loos geschickt? Ich mache Ihnen ein Vorschlag, wir legen fünf Minuten Pause ein. Sie denken nochmal nach, ich geh vor die Tür und rauch eine Zigarette, dann setzen wir uns wieder, und Sie sind ehrlich zu uns, und wir sind weg.«
    Bevor Genoveva Viellieber ein Wort herausbrachte, stand Martin auf, angelte aus der Tiefe seiner Bomberjacke die grüne Zigarettenpackung und das Feuerzeug, zog die Jacke an und ging aus dem Wohnzimmer.
    »Ich hab ein Problem«, sagte die Frau und schaute mich beim Sprechen zum ersten Mal nicht an. Dann zögerte sie.
    »Entschuldigung, wir müssen warten, bis Ihr Kollege zurückkommt.«
    »Was haben Sie für ein Problem, Frau Viellieber?«, sagte ich. Auf die Auszeit von fünf Minuten brauchte ich keine Rücksicht zu nehmen, Martin rechnete damit, dass ich die Befragung fortführen würde, er legte nicht zum ersten Mal eine Rauchpause ein, die als Deckmantel für eine Vernehmungsstrategie herhalten musste.
    »Ich höre nicht gut«, sagte die Bankkauffrau, immer noch mit abgewandtem Gesicht. »Ich höre überhaupt nicht gut. Vor acht Jahren hab ich auch noch zwei Hörstürze gehabt, das war wieder mal eine schwierige Zeit in der Bank, damals sind drei Kolleginnen entlassen worden, und die waren fast genauso lang im Beruf wie ich, die Zentrale baute Stellen ab, die dachten sogar daran, die Filiale zu schließen. Ich weiß nicht, ob ich woanders eine Stelle bekommen hätte, vielleicht schon, vielleicht nicht. Ich hab früher schon schlecht gehört, als Kind, ich weiß nicht, wie oft ich beim HNO-Arzt war, meine Ohren waren

Weitere Kostenlose Bücher