Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
behielt diese aber an. Er setzte sich und sah seine Notizen durch, während er mir zuhörte.
    »Haben Sie was dagegen, Bier zu trinken?«, sagte Genoveva Viellieber.
    Sie stellte ein Tablett mit drei Flaschen und drei Gläsern auf den Tisch.
    »Zum Wohl!«, sagte sie, nachdem sie die Getränke verteilt hatte.
    »Möge es nützen!«, sagte Martin. Ich sagte: »Möge es nützen.«
    Wir hoben die Gläser und tranken.
    »Waren die Hörstürze eine Folge Ihrer Krankheit?«, sagte ich.
    Sie hatte Martin zugesehen, wie er Sätze in seinen Aufzeichnungen unterstrich, und fuhr mit dem Kopf herum.
    »Entschuldigung?«
    Ich wiederholte die Frage.
    »Nein«, sagte sie. »Ich weiß es nicht. Meine Mutter war schwer krank, sie war hingefallen, sie hatte sich mehrere Knochen gebrochen, sie lag im Krankenhaus, ich arbeitete viel, um mich herum wurden Leute entlassen, in der Bank, in Betrieben, mit denen ich zu tun hatte, ich dachte, wenn jemand merkt, dass es mir schlecht geht oder meine chronische Krankheit rauskommt, kann ich gleich gehen. Das war eine harte Zeit, und dann hat es mich eben erwischt. Der zweite Hörsturz war weniger schlimm als der erste, aber ich war eine Woche krankgeschrieben, eigentlich zwei.«
    »Sie sind vorzeitig wieder in die Bank gegangen«, sagte ich.
    »Ja«, sagte sie und trank.
    »Wer außer Ihrer Mutter weiß von Ihrer Krankheit?«, sagte ich.
    Sie stellte das Glas ab und blickte über den Tisch. Margas leises Schnurren war das einzige Geräusch. Ich sagte: »Möchten Sie, dass ich mich auf die andere Seite setze?«
    Sie sah mich nicht an. Wir tranken und schwiegen.
    »Warum war Edward Loos so verwirrt?«, fragte Martin. Wieder klopfte er mit dem Kugelschreiber auf den Block, hielt inne und streckte den Kopf vor.
    »Ich hab Sie schon verstanden«, sagte Genoveva Viellieber. »Ich bin noch nicht ganz taub. Manchmal höre ich mehr, dann denke ich gleich, es wird besser. Eine akustische Täuschung, eine Halluzination der Ohren.« Sie trank ihr Glas aus und schenkte sich aus der Flasche nach.
    »Getrunken hab ich auch, nachts, wenn ich aus dem Krankenhaus von meiner Mutter kam, da hab ich mich hingesetzt und mit Herrn Augustiner gesprochen.« Sie klopfte mit der Flasche auf den Tisch wie Martin mit dem Kugelschreiber auf den Block. »Das war mir selber unheimlich. Aber es hat geholfen. Hinterher hab ich mich meist erbrochen, und mir war wieder schwindlig. Dann hab ich mir eingeredet, es ist vom Bier.«
    »Hatten Sie keinen Freund, keine Freundin, mit der Sie reden konnten?«, sagte Martin.
    »Ich bin ledig«, sagte sie. »Freilich hab ich Freundinnen, aber die haben ihre eigenen Sorgen. Außerdem wollt ich allein sein, das Alleinsein bin ich gewöhnt, das kann ich.«
    »Hatten Sie in dieser Zeit Kontakt mit Aladin?«, sagte ich. In ihrem Blick, bildete ich mir ein, lag eine erloschene Zukunft, und ihre Worte waren wie Kohlen unter Asche, die manchmal im Atemwind sekundenlang glommen.
    »Irgendwie«, sagte sie, »hatten wir immer Kontakt. Beruflich. Menschlich. Irgendwie.«

9
    I hr erster Eindruck war, er habe Drogen genommen, er hatte starre Augen und bewegte sich merkwürdig taumelnd, auch schien er nicht zuzuhören, was Genoveva Vielleber besonders irritierte, da gewöhnlich sie es war, die bei einem Gespräch nachfragen musste, weil sie nicht aufgepasst oder ihr Gegenüber zu leise, zu undeutlich, oder mit der Hand vor dem Mund gesprochen hatte. Unaufgefordert ließ Edward Loos sich aufs Sofa fallen, stöhnte laut, stand wieder auf, ging zum Tisch, verharrte mit gesenktem Kopf und setzte sich dann rittlings auf einen Stuhl. Auf dem Tisch lagen Zeitungen von den vergangenen Tagen, die Genoveva gerade durchgeblättert hatte, als es an der Tür klingelte. Jetzt blätterte auch Edward darin herum, schaute auf, stöhnte wieder, schlug mit der Faust auf den Tisch. Genoveva, die diesen Mann noch nie zuvor gesehen und den sie nur hereingelassen hatte, weil er behauptete, er sei Aladins Bruder, sah ihm von der Tür aus zu, beunruhigt, weniger über seine Anwesenheit, sondern weil sie sofort vermutet hatte, er bringe schlechte Nachrichten. Sie starrte ihn an, näher hinzugehen, traute sie sich nicht, aber seine Lippen wollte sie auf keinen Fall aus den Augen lassen. Das hektische Rascheln der Zeitungen hatte Marga unter den Schrank getrieben, von wo aus sie den Eindringling beobachtete.
    Nach fast fünf Minuten sagte Edward: »Sie sind der einzige Mensch, der mir helfen kann.«
    Und Genoveva sagte sofort: »Ich

Weitere Kostenlose Bücher