Süden und der Luftgitarrist
fall nicht mehr drauf rein. Möchten Sie ein Brot?«
»Nein«, sagte ich.
»Aladin hat bei Ihnen gewohnt«, sagte Martin. »Wie lange? Das ganze letzte Jahr?«
Sie strich mit einer Hand über die andere. »Nicht das ganze Jahr. Eines Tages ist er aufgetaucht, mitten in der Nacht. Im Fasching war das, er hatte einen gelben Hut auf und eine dunkle Sonnenbrille, er hat überhaupt nichts gesehen. Betrunken war er, aber das war ich auch. Es war Rosenmontag, ich wollte weggehen, ich wollte meine Freundinnen in der Kneipe treffen, und dann hatte ich auf einmal keine Lust. Da stand er draußen. Sporttasche in der Hand. Das Erste, was er sagte, war: Kann ich bei dir Asyl kriegen? Er sah wirklich übel aus.«
»Er hat Sie geduzt«, sagte ich.
»Ich hab ihm das erlaubt.«
»Und dann ist er bei Ihnen eingezogen«, sagte ich. Sie stand auf, nahm die leeren Flaschen und ging in die Küche.
Martin wischte sich den Schweiß von der Stirn, trank sein Glas aus und betrachtete mich aus müden Augen.
»Zugehmann mit Muschi«, sagte er dann. Marga und ich ignorierten ihn.
»Die sind für Sie, ich habe nur noch zwei«, sagte Genoveva und stellte Martin und mir je eine Flasche hin. Ich schob meine zu ihrem Platz.
»Für mich nicht mehr«, sagte ich und goss Bier in ihr Glas.
»Danke«, sagte sie. Eine Weile sagte niemand ein Wort.
»Ist Ihnen die Katze nicht lästig?«, fragte Genoveva Viellieber.
»Nein«, sagte ich.
Martin hatte sein Glas schon ausgetrunken, er war wieder auf seinem Weg, den ich nicht mit ihm teilte. Ich sagte: »Wie haben Sie Aladin Toulouse kennen gelernt, Frau Viellieber?«
Ich sah ihr an, dass sie mich verstanden hatte, obwohl sie ihr Gesicht abgewandt hatte und weitertrank. Inzwischen saß ich an der rechten Schmalseite des Tisches, mit Blick zur Tür.
Im Flur brannte Licht, und auf der Ablage an der Garderobe sah ich eine Tasche liegen, die mir bereits beim Hereinkommen aufgefallen war.
»Plötzlich stand er da, der Star«, sagte Genoveva Viellieber.
Da sie nicht weitersprach, beugte ich mich näher zu ihr.
»Wo denn jetzt? Hier?«
»Nein«, sagte sie und schaute mir wieder auf den Mund.
»In der Bank. Er hatte sich bewusst die Zweigstelle Lerchenau ausgesucht. Zu der Zeit wohnte er in einem der Hochhäuser im Olympiapark, da, wo jedes Jahr zehn Leute vom Balkon springen, weil sie die Trostlosigkeit nicht mehr aushalten. Da hatte er ein Appartement.«
»Und wie kam er ausgerechnet auf Ihre Bank?«, sagte Martin lauter, als es nötig gewesen wäre.
»Ich hab Sie schon verstanden«, sagte die Frau, ohne den Blick von mir zu nehmen. »Er wollte eine Bank, die sich weit entfernt von den Banken seiner Mitspieler befand. So war er. Er war ganz anders, er hat sich einen Spaß draus gemacht, ihnen zu erzählen, er lege sein Geld in einer kleinen Filiale in der Lerchenau an, die er tagelang gesucht habe. Das hat er getan. So hat er es mir erzählt, später. Am Anfang habe ich natürlich gedacht, er spinnt ein wenig. Wir kannten ihn aus dem Fernsehen, er spielte schon beim FC Bayern, und die Mädchen liebten ihn und schickten ihm…«
»Und Sie?«, sagte ich.
Sie zuckte so heftig zusammen, dass ihre Katze ebenfalls reagierte und den Kopf hob. Lautlos goss sich Martin Bier ins Glas.
»Sie waren auch in ihn verliebt«, sagte ich. »Sie haben es ihm nicht gezeigt, aber Sie haben ihm geholfen, sein Geld anzulegen, Sie haben ihn betreut, viele Jahre, bis heute, beruflich, und privat auch. Sie haben ihn im Krankenhaus besucht, Sie waren der einzige Mensch, den er an sich heranließ. Und das ganze letzte Jahr hat er bei Ihnen gewohnt.«
»Ach nein!«, sagte sie und wandte sich mit einer harten Bewegung ab. »Das spielt doch keine Rolle. Nein. Ach nein.« Und dann strich sie wie schon oft mit einer Hand über die andere, sah Martin an, der mit zusammengekniffenen Augen vornübergebeugt ihr gegenüber saß, und musterte ihn eine Zeit lang.
»Er war verliebt«, sagte sie fast behutsam. »Er war in mich verliebt, das hab ich erst nicht gemerkt, das wär ja auch anmaßend gewesen. Ein dreiundzwanzigjähriger Fußballspieler, der auf eine Zweiundfünfzigjährige steht, das wäre noch schlimmer gewesen, als wenn er sich als Homosexueller geoutet hätte. Als er mich das erste Mal zu Hause besucht hat, hier, hat er mir gestanden, was er für mich empfindet, und ich hab zu ihm gesagt, er spinnt. Er meinte es aber ernst. Ich hab ihn nach Hause geschickt, in sein Olympiadorf, aus dem er nicht weggezogen ist, obwohl
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