Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
ist er fällig! Ich hab gedacht, Sie können mir helfen. Aber Sie reden genauso wie Ihre Kollegen. Sie wissen nichts und beschmutzen meine Tochter mit Gemeinheiten. Besser, Sie gehen! Gehen Sie! Gehen Sie bitte!«
    Ich stand auf und ging an ihm vorbei und roch sein Rasierwasser und seinen Schweiß und öffnete die Wohnungstür.
    »Sie müssen mich verstehen«, sagte Jagoda mit gedämpfter Stimme. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie dunkel es in dieser Wohnung geworden ist.«
    Als ich die Tür hinter mir zuzog, hörte ich ihn sagen:
    »Noch viel dunkler als in einem Grab.«
    Unverändert schien die Sonne am verschwenderisch blauen Himmel.

4
    » S ie haben Besuch«, sagte Irmi. »Sitzt auf der Terrasse.«
    Bevor sie weiter mit der Hand Brösel von einem der Tische fegte, richtete sie sich noch einmal auf, sah sich um, als müsse sie erst sicherstellen, dass niemand zuhörte, und winkte mich mit dem Zeigefinger zu sich. Außer uns befand sich niemand in der Gaststube .
    »Zweihundert sind mindestens da gewesen«, sagte die Bedienung mit leiser Stimme. »Und alle haben genauso viel geschwitzt wie geschneuzt, er war halt schon eine Beliebtheit, unser Pfarrer.«
    An die Beerdigung hatte ich nicht mehr gedacht .
    »Und sein Nachfolger, Ferenz …«, sagte Irmi und machte eine Pause und schien in Bewunderung zu versinken .
    »Eine Predigt hat der hingelegt, das hören Sie selten bei einer Beerdigung! Dass einer so Sachen sagt, ein ehrliches Mitgefühl hat der, dem glauben Sie das, dass er einen Freund verloren hat, einen Bruder. Wir sind alle sehr gerührt gewesen, er hat fast selber geweint, der Herr Ferenz. Ich bin erst vor einer Stunde zurückgekommen, in der ›Post‹ haben sie das große Hinterzimmer für die Trauergemeinde zur Verfügung gestellt, hundertzwanzig Plätze mindestens. Und die Familie Eberharter hat alles bezahlt. Zu Ehren des Herrn Pfarrer. Manche haben ganz schön reingehauen beim Essen, so, als würden sie zu Haus nichts kriegen. Ich hab nur eine Suppe gegessen und zwei Bier getrunken. Und einen Obstler, nein, zwei Obstler. Niemand kann verstehen, warum er das getan hat, der Herr Pfarrer. Haben Sie da eine Erklärung, Herr Süden? Sie sind doch vom Fach.«
    »Ich bin kein Selbstmordspezialist«, sagte ich .
    »So hab ich das nicht gemeint«, sagte Irmi irritiert. Ihre weiße Bedienungsschürze hatte sie über ihr schwarzes Trauerkleid gebunden, und sie roch nach Weihrauch und ein wenig nach Wirtshaus.
    »Er soll seelische Probleme gehabt haben«, sagte ich, um sie nicht zu verunsichern.
    »Deswegen hängt man sich doch nicht an einen Baum!«
    Für eine Sekunde wirkte Irmi persönlich beleidigt durch die Tat des Pfarrers. »Es heißt, er hat eine heimliche Freundin gehabt, und die hätt ihn verlassen. Und deswegen hat er getrunken und sich gehen lassen. Ich glaub das nicht. Ich glaub, dass er krank war. Wenn man schwer krank ist und keinen Ausweg mehr sieht, dann macht man manchmal so was. Das ist sogar verständlich, oder?«
    »Ja«, sagte ich. »War er krank?«
    »Angeblich. Jeder erzählt was anderes. Dass er getrunken hat, und zwar harte Sachen, das war wohl so. Ich hab das nicht gemerkt, im Gottesdienst war er immer konzentriert und freundlich. Das können Sie nicht wissen, Herr Süden, aber Pfarrer Wild war immer nett, hat viel gelächelt und Zeit gehabt für die Nöte seiner Schäfchen. Die Kinder haben ihn besonders gemocht, er hat sie musizieren und auf der Wiese beim Pfarrhof spielen lassen, und er hat immer einen Trost parat gehabt. Auch wenn es ganz schlimm war, wie bei der Familie Jagoda. Angeblich ist die Frau Jagoda jeden Morgen zu ihm ins Pfarrhaus gekommen und hat mit ihm gebetet, und er hat ihr Kraft gegeben. Warum sich so ein Mensch aufhängt, das kann man nicht verstehen. Ihr Besuch wartet, Herr Süden. Wollen Sie was trinken?«
    »Was trinkt mein Besuch?«, sagte ich .
    »Bier.«
    »Dann nehme ich auch eins.«
    »Ich brings Ihnen gleich raus«, sagte Irmi .
    Auf dem Stuhl, auf dem ich gestern gesessen hatte, fläzte sich ein Mann in einem braunen, fusseligen Rollkragenpullover und rauchte. Sein Glas war fast leer, und er hatte einen Bierdeckel darauf gelegt. Die wenigen dünnen Haare klebten, wie zu einem Nest geformt, auf seinem von Schweißtropfen glänzenden Kopf. Über die Stuhllehne hatte er eine graue Filzjacke gehängt. Die filterlose Zigarette, an der er zog, ohne sie in die Hand zu nehmen, hing in seinem Mundwinkel. Aus halb geöffneten Augen stierte er vor sich

Weitere Kostenlose Bücher