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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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hin, bewegungslos. Nur das Aufglimmen der Glut ließ darauf schließen, dass er überhaupt atmete.
    Ich zog meine Lederjacke aus, hängte sie über die Lehne des zweiten Stuhls und setzte mich. Wir saßen nebeneinander, da Irmi oder jemand anderes die Stühle entlang der Wand in den Schatten gestellt hatte. Wir waren die einzigen Gäste. Auf der schmalen Straße hinter der Hecke fuhr gelegentlich ein Auto vorbei, und von der Wiese, die ich vom Fenster meines Zimmers aus in ihrer ganzen Breite überblicken konnte, hörten wir die Glocken der Kühe. Es war kurz vor sechs und immer noch heiß .
    »Zum Wohl!«, sagte Irmi und stellte zwei Biergläser auf den Tisch vor uns. »Ich hab Ihnen auch gleich ein frisches mitgebracht, Herr Heuer, ists recht?«
    »Unbedingt«, sagte ich, weil ich nicht wollte, dass Martin beim Sprechen seine Fluppe verlor .
    Kaum war Irmi gegangen, drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus und hob sein Glas. »Möge es nützen!«, sagte er, und wir stießen an .
    »Möge es nützen!«, sagte ich und trank .
    Dann lehnten wir uns zurück. Martin zündete sich eine neue Zigarette an, und ich schloss die Augen .
    Eine halbe Stunde und ein weiteres Bier lang sprachen wir kein Wort, verzichteten sogar auf unseren Trinkspruch, stießen nur mit den Gläsern an .
    Ich wusste nicht, warum mein ältester Freund und Kollege Martin Heuer nach Taging gekommen war. Aber ich freute mich darüber.
    Ich freute mich, denn die vergangenen Monate herrschte vor allem Ferne zwischen uns. Wir begegneten uns im Dienst, wir tauschten Informationen aus und führten Befragungen durch, tippten Protokolle, arbeiteten alte Vermissungen ab. Und wenn er morgens nicht im Dezernat erschien, wusste ich, warum. Und ich hatte aufgehört, mich zu sorgen. Natürlich hatte ich nicht damit aufgehört, ich redete es mir nur ein, und ich hörte nicht auf, es mir einzureden. Durch die Exzesse seiner Aushäusigkeit hatte Martin mich in die entwürdigendste, groteskeste Situation meines Berufslebens gebracht, und ich bekam noch immer seelische Klaustrophobie, wenn ich an jenen Moment im Vernehmungsraum dachte, als ich aufsprang und ihn niederschlug. Ein paar Mal, vielleicht auch nur einmal, hatten wir später versucht, darüber zu sprechen .
    Auch Sonja Feyerabend, meine Freundin und unser beider Kollegin, bot ihm ihre Hilfe an. Aber es blieb bei unvollständigen, gestammelten, letztlich nutzlosen Gesprächen. Und niemand hatte mehr als ich begriffen, dass Martins nächtliche Reisen in die gläsernen, für Außenstehende uneinnehmbaren Festungen der Trinker und durch die Bars der von den Göttern der Schönheit und Versöhnung verstoßenen Frauen niemals zu Ende gehen würden, solange er nicht von sich aus den Aufbruch verweigerte oder zumindest die Unterstützung professioneller Heiler in Anspruch nahm. Und trotzdem blieb er mein ältester Freund. Trotzdem flossen unsere Leben seit jeher ineinander. Er war es gewesen, der mich überredet hatte, zur Polizei zu gehen. Und ich war es, der ihn in den gehobenen Dienst, zur Kriminalpolizei, mitschleifte. Gemeinsam entwickelten wir uns zu einem besonderen Team innerhalb der Vermisstenstelle, und an vielen Fällen, deren erfolgreiche Aufklärung im Dezernat oder in der Presse mir zugeschrieben wurde, wäre ich ohne ihn bestimmt gescheitert. Er brachte mir Glück und versorgte mich mit Zuversicht, so wie ich sein Unglück heraufziehen sehen musste und das Erlöschen seines Gesichts. Wenn ich ihn begleiten wollte – vielleicht, um ihn im letzten Moment vor einer neuen Dunkelheit zu bewahren, dem Bestellen des zwölften Drinks, dem Öffnen der zwölften Tür, vielleicht, um mir etwas einzureden, das mich besänftigte –, nahm er mich heiter mit, stellte mich seinen Leuten vor, die er so wenig kannte wie ich, nur vom Anstoßen und vom Geschwätz, bezahlte für mich und verbrannte mein kümmerliches Bündel Hoffnung spätestens mit dem Streichholz seiner zwölften Salemohne. Immer häufiger trennten wir uns dann vor irgendeiner Tür, nach einem hastig hinuntergekippten letzten Getränk, und er verschwand, und ich blieb zurück wie ein gestrauchelter Heilsarmist, der, blöde vor Selbstüberschätzung, seine Stimmbänder an einem Tresen verpfändet hatte .
    Manchmal, so bildete ich mir ein, hörte er mir am besten zu, wenn wir schwiegen, lange, nebeneinander, einträchtig und in derselben Tonart.
    »Ich hab hier im ›Koglhof‹ angerufen«, sagte Martin und blies ein Streichholz aus. »Sie haben mir

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