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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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eternity passes away, just to spend them with you …
     
    »Du kannst dich nicht mehr erinnern, ob du die Anna an dem Tag gesehen hast«, sagte ich.
    Niko stützte den Kopf in die Hand und umklammerte mit der anderen das frisch eingeschenkte Bierglas. »Hast du das Protokoll gelesen?«
    »Nur einen Ausschnitt«, sagte ich.
    »Die haben mich siebenhundertmal gefragt, irgendwann war ich fast selber gespannt, ob mir noch was einfällt. Wenn du immer wieder über dasselbe nachdenkst, dann denkst du irgendwann, da ist was, da kommt was hoch, genau, klar, die Anna, die steht da am Straßenrand, und ich halt an und sag: Grüß dich, Anna, wo gehstn hin, ist dir nicht zu warm? Weil sie hat einen grünen Pullover angehabt, obwohls mordsmäßig heiß war …«
    »Du hast dich an den Pullover erinnert«, sagte ich .
    »Natürlich nicht, du Depp!« Ohne den Kopf von der aufgestützten Hand zu heben, trank er, und der Arm mit dem Glas sackte auf den Tisch. »Das stand doch in der Zeitung, dann! Ich hab das gelesen, hundertmal. Und dann haben sie mich wieder gefragt, und haben meinen Wagen zerlegt, da hab ich ja noch den anderen gefahren, den hab ich inzwischen verkauft, das war ja Wahnsinn, die haben den in der Zeitung abgebildet! Mich auch, die Schweine!«
    Dann schwiegen wir.
    »Bist du noch mit deiner Geliebten zusammen?«, fragte Martin, der Spezialist für Gesprächswendungen im richtigen Moment.
    Niko warf ihm einen abwesenden Blick zu, eine Weile wortlos. »Spinnst du? Als die Verhöre losgegangen sind, haben wir uns getrennt, ich wollt nicht, dass sie mit reingezogen wird, war sie ja eh schon. Sag mal, erinnerst du dich an die Kirchner Sibylle?«
    »Von der Bäckerei?«, sagte Martin. Er hatte sich die letzte Salemohne aus der Packung angezündet und diese zerknüllt.
    »Die ist gestorben«, sagte Niko. »An Aids wahrscheinlich . Gelbsucht, hat die Familie behauptet, in Afrika, sie hat da unten als Biologin gearbeitet, die war mit uns in der Klasse.« Er sah mich an .
    »Sie hatte einen Bruder«, sagte ich .
    »Der macht jetzt die Bäckerei«, sagte Niko .
    Er schnaufte, hob das Glas und stellte es wieder hin. »Die Geschichte vom Mayer Max habt ihr mitgekriegt, oder?«
    »Was ist mit dem?«, sagte Martin .
    »Der hat sich aufgehängt. Aus Liebe. Der war doch mit der Tänzerin zusammen, der Aufhauser Monika, die wollt weg, in die Stadt, ans Theater. Der Max wollt aber nicht weg hier, der wollt halt nicht in die Stadt, der wollt halt lieber auf seinem Hof bleiben, im Dorf, wo er halt daheim ist. Aber sie hat ihn überreden wollen. Er wollt nicht, also ist sie allein weg. Das hat er nicht verkraftet. Er hat sich auf dem Grundstück seiner Eltern aufgehängt. Ich hab ihn noch getroffen am Abend vorher, er war ganz normal, er hat wenig geredet. Aber sonst hat er auch nicht viel geredet. Hier, da an dem Tisch hat er gesessen, es war Samstag, ein Haufen Leute, er hat sein Bier getrunken und ist gegangen. Am nächsten Morgen haben sie ihn gefunden. Erhängt. Wie der Pfarrer Wild. Auch aus Liebe.«
    »Und die Monika?«, sagte Martin .
    »Sie ist zur Beerdigung gekommen«, sagte Niko. »Die war fertig. Seitdem hab ich sie nicht mehr gesehen, ist zwanzig Jahr her etwa. Und jetzt der Pfarrer Wild. Wart ihr auf der Beerdigung von dem?«
    »Nein«, sagte Martin .
    Ich sagte: »Er hat sich aufgehängt, weil er eine Geliebte hatte, die ihn verlassen wollte, und das Geheimnis aufgeflogen ist.«
    »Schön hast du das gesagt: Geheimnis. Schön. Aber ein Geheimnis war das eher weniger, die Leute haben das gewusst, jeder praktisch, der katholisch ist. Die Feiningerin ist in ihrem Laden sogar drauf angesprochen worden, aber sie hat nichts zugegeben, ist klar. Geht auch niemand was an. Und noch dazu ist die Monika viel jünger als er, die ist so in unserem Alter und er ist fast siebzig gewesen.« Er richtete sich auf, legte den Kopf schief wie zur Entspannung und nahm einen langen Schluck .
    Jeden Moment rechnete ich damit, dass Sissi uns aufforderte zu verschwinden. Ich drehte mich um. Sie saß hinter der Theke und las in einem dicken Buch. Das Pärchen auf der anderen Seite rauchte gemeinsam eine selbstgedrehte Zigarette, sie steckten sie sich gegenseitig in den Mund und sahen dem Rauch und der Glut zu, mit glühenden Wangen.
    »War die Feiningerin auf der Beerdigung?«, fragte Martin .
    Niko leerte sein Glas. Von uns dreien war er mit Abstand der schnellste Austrinker. »Wie ich gehört hab, nein«, sagte er, und sein Lallen wurde

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