Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
Stunde bei ihm, und er hat nur zugehört. Was genau ich zu ihm gesagt hab, weiß ich nicht mehr, ich hab ihm halt darlegen wollen, dass ich nichts mit dem Verschwinden der Anna zu tun hab, und dass ich … dass ich …« Er umklammerte das Glas und ließ es mit einem Ruck los. »Dass ich total am Arsch bin, wenn die mich weiter fertig machen, die Bullen, die Presse, die Leute, die nicht mehr in meinen Laden kommen. Ich bin am Arsch, damit hätt ich nie gerechnet, verstehst …« Er meinte niemand Bestimmtes, er sah keinen von uns an. »Ich hab geglaubt, ich mach eine Aussage und aus. Gut, ich hab gelogen am Anfang. Weil ich die Katrin nicht mit reinziehen wollt. Das ist doch verständlich! Dann hab ich gesagt, wies wirklich war, und dann war ich erst recht am Arsch. Was ich tun soll, hab ich den Pfarrer Wild gefragt, und er hat gesagt, wenn ich unschuldig bin, kann niemand mir einen Strick drehen. Als ich erfahren hab, dass er sich erhängt hat, hab ich wieder an den Satz denken müssen, dass mir, wenn ich nichts getan hab, niemand einen Strick draus drehen kann .
Jetzt hat er sich selber einen Strick gedreht. Und ich denk mir, vielleicht hat er niemand zum Reden gehabt, so wie ich. Wenn ich nicht mit ihm geredet hätt an dem Nachmittag, wer weiß, vielleicht hätt ich mir auch was angetan. So verzweifelt war ich. Das verstehst du nicht, aber das war so.«
Wieder redete er nur mit seinem Glas. Er trank, stellte es hin und trank noch mal. »Er hat mir den Rat gegeben wegzufahren, vorübergehend. Hab ich gemacht. Hat nichts genützt. Ich hab mich in billigen Pensionen eingemietet und gedacht, wenn ich irgendwo an einer Bar hock und was sauf, dann hört der Druck auf. Totaler Irrtum. Einmal hab ich eine Nutte mit aufs Zimmer genommen, das war das Peinlichste überhaupt. Einen Haufen Geld für nichts hab ich bezahlt. Ich war froh, als sie wieder draußen war. Und am Montag ist der erste Jahrestag, und ich wette, dann stehen sie wieder vor der Tür und fangen wieder von vorn an. Wenn ich nicht jeden Abend hierher kommen könnt, würd ich mich aufhängen, wie der Pfarrer Wild und der Mayer Max damals. Wisst ihr, was ich mir manchmal denk?«
Er schaute mich an, seine Augen waren blutunterlaufen .
»Nein«, sagte ich.
»Dass der Pfarrer Wild sich gar nicht wegen der Feiningerin aufgehängt hat.« Er nickte und trank sein Glas leer und schob es mit einer entschiedenen Geste an den Tischrand. »Sondern, dass es gar kein Selbstmord war . Dass er was gewusst hat, verstehst? Dass er was gewusst hat. Dass er was gewusst hat, was niemand wissen darf . Verstehst?«
Er meinte mich, und ich sagte: »Dass er gewusst hat, wer Schuld an Annas Verschwinden hat.«
Niko ließ sich gegen die Lehne der Bank fallen und klopfte mit den Händen auf seinen vorstehenden Bauch. »Genau. Und der Mörder oder der Verschlepper hat bei ihm gebeichtet, weil er weiß, der Pfarrer hat ein Beichtgeheimnis und darf nichts sagen. Da kommen wir jetzt wieder zu deinem Geheimnis. Hinterher aber hat dem Mörder sein Geständnis Leid getan, er hat Schiss gekriegt, dass der Pfarrer Wild doch was verraten würd, und hat ihn so umgebracht, dass es aussieht wie ein Selbstmord. Wär doch möglich.«
»Wie denn?«, sagte Martin. »Wie bringt der Mörder den Pfarrer dazu, in den Wald zu gehen und sich aufzuhängen?«
»Betäubt ihn vorher«, sagte Niko. »Hör mal zu, der Pfarrer Wild bringt sich nicht um, erstens hat er ein gutes Leben hier in der Gemeinde, und zweitens darf er das nicht als katholischer Pfarrer.«
»Er darf auch keine Geliebte haben als katholischer Pfarrer«, sagte Martin.
»Das ist was anderes«, sagte Niko. Er beugte sich vor und schob das Bierglas über die Tischplatte in Richtung Sissi .
»Gib zu, deine Kollegen haben nicht nachgeforscht, ist ja klar, der Pfarrer hängt sich auf, weil er krank ist oder eine Geliebte hat und alles kommt raus …«
»Das ist sehr unwahrscheinlich, Niko«, sagte ich .
»Frag den Vater von der Anna!«, sagte Niko. Sissi war aufgestanden und blieb jetzt stehen .
»Der Vater von der Anna ist nicht der Einzige, der überzeugt ist, dass der Mörder aus dem Dorf kommen muss«, sagte Niko voller Eifer. »Und wenn das stimmt, dann ist das nicht ausgeschlossen, dass der Pfarrer was gewusst hat. Ich an eurer Stelle würd den exhuminieren lassen.«
»Exhumieren«, sagte Martin.
»Ist doch egal!«, sagte Niko laut. »Selbstmord! Ich war bei dem dort, das ist ein Mensch gewesen, der sich um jeden im Ort
Weitere Kostenlose Bücher