Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
stärker. »Sie hat sich nicht getraut, auch egal.«
»Wie lange waren die beiden zusammen?«, fragte Martin .
»Jahrelang schon.« Niko hielt nach Sissi Ausschau, aber sie schien ihn nicht zu beachten. Er stellte das Glas wieder hin, gut hörbar. »Ob das stimmt, weiß ich nicht. Die hat eine Tochter, die Feiningerin, die Sabrina.«
»Vom Pfarrer?«, sagte Martin.
»Spinnst du total?«, sagte Niko laut. Und sofort hob er sein Glas, anscheinend hatte Sissi auf seinen Ausruf reagiert. »Vom Pfarrer doch nicht! Vom Schneider Johannes, du Depp! Den haben sie doch nach Hamburg versetzt, seine Versicherung, oder er hat sich versetzen lassen, was weiß ich! Die sind schon ewig auseinander, die Monika und er.«
»Aber warum hat sich der Pfarrer umgebracht?«, sagte ich.
»Was ich gehört hab, ist …« Abrupt schaute er zu Sissi hoch, die das Bier brachte. »Was liest du?«
»Ein Buch.« Sie nahm das leere Glas und blickte uns der Reihe nach an .
»Was ist?«, sagte Niko.
»Das Verhör scheint ja gut zu klappen«, sagte sie .
»Was für ein Verhör?«, sagte Martin.
»Pass bloß auf, was du sagst, Niko! Die sind schlau, das sind Bullen, die wissen, wie man Leute austrickst, die wollen dich reinreiten …«
»Nein«, sagte ich.
»Warum lasst ihr den Niko dann nicht in Frieden? Der hat nichts getan. Außerdem wärs mir eigentlich lieber, ihr würdet verschwinden, ich mag keine Bullen in meinem Lokal.«
»Wir glauben doch auch, dass Niko nichts damit zu tun hat«, sagte ich. »Wir reden gerade über den Selbstmord des Pfarrers. Wenn jeder im Dorf wusste, dass er eine Geliebte hat, hätte er sich doch nicht umbringen müssen.«
»Gewusst ist doch Unsinn!«, sagte Sissi und schien einen Moment zu überlegen, ob sie weiter mit uns sprechen solle. »Niemand hat das gewusst, das sind lauter Vermutungen. Wenn er wirklich ein Verhältnis mit ihr gehabt hat, und das wär rausgekommen, dann wär er erledigt gewesen, dann hätt man ihn versetzt oder sie hätten ihn ganz rausgeschmissen. Ich glaub eher, dass er sich das angetan hat, weil er krank war, angeblich hat er Krebs gehabt, Leberkrebs, unheilbar. Das ist das, was ich gehört hab.«
»Und ich hab gehört …«, sagte Niko und trank, und Schaum tropfte ihm vom Mund, »… sie hat sich von ihm trennen wollen, weil sie hat das nicht mehr ausgehalten, die Heimlichtuerei, das Gerede der Leute. Die wollt doch auch wegziehen, die wollt doch den Laden zumachen.«
»Stimmt«, sagte Sissi. »Das hab ich auch gehört.«
»Ich war beim Pfarrer Wild«, sagte Niko. Wieder klemmte er die Hände zwischen die Knie. Und auf einmal machte er einen verunsicherten, schüchternen Eindruck. Vielleicht hatte er das, was er uns mitteilen wollte, noch zu niemandem gesagt, vielleicht hatte er sich bisher dafür geniert. »Ich hab mich nicht mehr ausgekannt, immer die Polizei und die Fragen und die Presse, und im Geschäft haben sie mich schief angeschaut, und dann sind überhaupt keine Leute mehr gekommen … Ich hab ja mit niemand reden können, mit wem denn? Mein Vater hat mich angerufen, dem hab ich gar nichts erzählt, und seiner Frau auch nicht. Das hat mich am meisten geärgert, dass der sich jetzt aufspielt, der hat bloß Angst um sein Ansehen gehabt, dass er was abkriegt von dem Gerede über mich. Ich bin zum Pfarrhaus gefahren und hab geklingelt, mitten am Nachmittag. Die alte Bergrain hat aufgemacht, sie hat mir einen Kaffee gemacht, weil der Herr Pfarrer eine Besprechung hatte. Sie hat mir gesagt, der Herr Pfarrer wär in letzter Zeit überlastet und würd die halbe Nacht arbeiten und sich keine Ruhe mehr gönnen. Ich glaub, ich bin eine halbe Stunde in der Küche gesessen, dann hab ich im Flur Stimmen gehört, und dann hab ich durchs Fenster die Feiningerin rausgehen sehen. Ob die Bergrain was gewusst hat, weiß ich nicht, ich könnt mir vorstellen, dass die einfach nicht hingeschaut hat, die ist ja schon hundert Jahre in dem Pfarrhaus, die war schon beim Pfarrer Seltner da.«
Hastig trank Niko mehrere Schlucke. Sissi setzte sich auf den freien Stuhl, nachdem sie einen Blick zum offensichtlich wunschlosen Pärchen geworfen hatte .
»Als ich bei ihm im Zimmer war, hab ich angefangen zu heulen«, sagte Niko mit einem Zittern in der Stimme .
»Mir war das so peinlich. Der Pfarrer Wild hat eine Flasche Birnenschnaps und zwei Gläser geholt, und dann haben wir erst was getrunken, und dann gings mir besser. Später hab ich noch zwei Schnäpse getrunken, er aber nicht. Ich war eine
Weitere Kostenlose Bücher