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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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schon in der Buchhandlung die ersten zehn Seiten. Anstelle des Stadtplans, den es nicht gab, kaufte ich dieses Buch, setzte mich zu Hause in das kleine Zimmer, dessen Wände ich gelb gestrichen hatte, und folgte der Spur des Künstlers mit seinen Worten, die an seinen Bruder gerichtet waren.
    In der Nacht zum Mittwoch saß ich wieder in meinem gelben Zimmer, bei geschlossenem Fenster, in größtmöglicher Stille, als das Telefon klingelte. Ich ging nicht dran. Dann fiel mir ein, dass der Anrufbeantworter anspringen würde, und ich lief in den Flur und stellte ihn aus. Danach schaffte ich nur noch eine Seite. Ich verließ das Haus. Es war kühl geworden, die Straßen waren nass und in den Bäumen hörte ich die Tropfen auf die Blätter fallen. Ich hielt ein Taxi an. Was ich tat, sollte ich nicht tun. Ich sollte es nicht tun. Sei vernünftig, dachte ich. Denk an die Konsequenzen! Welche Konsequenzen? Was zettelst du wieder an? Wozu? Besser wäre, die Dinge vorher zu klären. Was klären? Muss ich mich rechtfertigen? Red keinen Unsinn! Was willst du sagen, wenn sie dich fragt? Nichts, ich werde nichts sagen. Es ist nur eine sexuelle Begegnung. Bitte? Das ist es, nichts weiter. Woher willst du das wissen? Du kennst die Frau nicht. Nein, aber ich schätze sie ähnlich ein. Wie ähnlich? Ähnlich wie dich? Wir denken nicht an die Zukunft. Woher willst du das wissen? Das war völlig klar, als wir uns verabschiedet haben. Keiner stellt Fragen. Keine Verabredungen. Und Ute? Es ist vorbei. Weiß sie das? Natürlich weiß sie das, sie will es sich nur nicht eingestehen.
    Steig aus, fahr zurück!
    »Würden Sie bitte anhalten?«
    Vor einer Pizzeria stieg ich aus. Mit quietschendem Zorn fuhr der Taxifahrer davon.
    Das Restaurant war fast leer, an einem Tisch saßen drei Gäste und tranken etwas Dunkelbraunes. Das war eine gute Idee. Ich ging hinein.
    »Einen Averna«, sagte ich zum Kellner hinter der Bar.
    »Wir haben schon geschlossen«, sagte er.
    »Nur einen Averna bitte.«
    »Mit Eis?«
    »Pur.«
    Er stellte mir das Glas hin, ich bezahlte und beschloss, langsam zu trinken und anschließend zu Fuß nach Hause zu gehen.
    Nach fünfhundert Metern kam mir ein beleuchtetes Taxi entgegen. Weitergehen, geh weiter!
    Wie an einem Tatort hatte ich die Hände in den Hosentaschen. Winken war unmöglich. Am Tiroler Platz warteten zwei unbesetzte Taxis an der roten Ampel. Ich überlegte, wie lange es her sein mochte, dass ich zum letzten Mal im Tierpark war, der nicht weit von hier entfernt lag. Als Kinder waren Martin und ich mindestens einmal im Monat in Hellabrunn, besonders bei den Löwen, und wir konnten unermüdlich ausharren und auf das Gehege der Wölfe starren, bis endlich einer herauskam und gefährlich auf und ab lief. Und jedes Mal lachten wir über eine Schautafel, auf der ein gigantisches Nashorn von hinten auf ein anderes Nashorn stieg.
    »So spät noch?«, sagte sie.
    Ich sagte: »Ich fuhr durch die Gegend und dachte…«
    »Komm rein!«
    Sie nahm mir die Jacke ab und kurz darauf auch den Rest der Kleidung. Sinnloserweise hatte sie das Bett frisch überzogen. Nach einer Stunde lehnten wir uns erschöpft aneinander.
    »Hast du was von Jerry gehört?«, fragte Esther.
    »Nein«, sagte ich. »Seine Freundin ist tot. Sie hat Schlaftabletten genommen. Oder Jeremias hat sie ihr gegeben, das wissen wir noch nicht. Er ist immer noch verschwunden.«
    Mit einer fast panischen Bewegung griff sie nach dem Laken, deckte sich zu und zog die Beine an. Sie blickte vor sich hin, die Arme unter der Decke, beunruhigt, wie mir schien.
    Ich schwieg.
    Als ich merkte, wie schwer es ihr fiel etwas zu sagen, legte ich den Arm um ihre Schulter.
    »Willst du mehr erfahren?«, fragte ich.
    Sie war viel zu sehr mit sich beschäftigt als darauf zu antworten.
    Reglos saßen wir nebeneinander im Bett. Das zweite Laken war auf den Boden gerutscht, und ich hätte mich hinunterbeugen müssen, um es zu holen. Aber ich wollte Esther nicht loslassen.
    »Wann…«, sagte sie, immer noch versunken in Überlegungen. »Wann hat er… Wann ist sie gestorben und…
    und wo?«
    »In ihrer Wohnung«, sagte ich und war mir nicht sicher, ob es richtig war, ihr den Zeitpunkt des Todes zu nennen.
    »Aber du weißt nicht, ob er daran beteiligt war?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Gibts da nicht…« Zum ersten Mal, seit wir miteinander sprachen, sah sie mich an. »Wurden da nicht Spuren untersucht? Oder die Nachbarn gefragt…«
    »Was ist los?« Etwas umständlich strich ich

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