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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Thon so laut, dass Erika Haberl, die Sekretärin in der Vermisstenstelle, die Tür zu Thons Büro schloss. »Wenn du urlaubsunfähig bist, dann hilf uns hier! Was soll das, Tabor? Warum führst du Vernehmungen für den Mord? Die haben genug Leute!«
    Ich sagte: »Ich habe die meisten Informationen. Ich bin über Sonja an den Fall gekommen, nicht über Rolf.«
    »Was für einen Fall?« Er paffte sein Zigarillo und kratzte sich mit dem Zeigefinger am Hals. »Da gibts keinen Fall! Nicht für uns jedenfalls! Dein Freund Martin ist schon wieder seit drei Tagen Tag und Nacht unterwegs, wegen diesen abgängigen Mädchen. Die ganze Abteilung ist im Stress. Und du machst Laufdienste für die Kollegen. Erklär mir das!«
    Wozu sollte ich ihm etwas erklären? Ich hatte Urlaub.
    »Später«, sagte ich. Dann goss ich ein halbes Glas mit Mineralwasser voll und trank es in einem Zug aus. »Vielleicht müssen wir doch noch einen Mann suchen, der von niemandem als vermisst gemeldet wurde.«
    »Bitte?«, sagte Thon in seiner unnachahmlich strengen Art.
    »Später«, sagte ich noch einmal und machte die Tür zum Nebenraum auf, in dem Erika mit Kopfhörern einen Tonbandbericht abtippte. Als sie mich sah, nahm sie die Hörer ab.
    »Ist Ihr Urlaub schon zu Ende?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte ich. »Aber ich hab zu tun.«
    »Die Sache mit dem Mann, den niemand zurückhaben will?«
    Ich winkte ihr zu und verließ das Büro. Hinter mir hörte ich Thon zu Erika Haberl sagen: »Irgendwann wirds dem genauso gehen!«

12
    A usgerechnet die beiden Oberkommissare Braga und Gerke begleiteten Franziska Hrubesch durch die trostlosen Gänge des Instituts für Rechtsmedizin in der Frauenlobstraße. Die beiden fast zwei Meter großen Männer folgten der kleinen alten Frau in einigen Metern Abstand, Braga, im ovalen Gesicht ein verzerrtes Grinsen, das er sich selbst nicht erklären konnte, daneben sein Freund, dessen akurat an beiden Enden nach oben gezwirbelter Schnurrbart eine Art Kunstwerk bildete, mit dem er schon an Wettbewerben teilgenommen hatte.
    Seit mehr als einer Stunde wartete ich auf einer Holzbank, die eher einer Pritsche glich. Als ich die drei kommen sah, hielt ich ihnen die Tür auf. Ohne zu grüßen ging die alte Frau an mir vorbei durch den Vorraum und öffnete die Eingangstür.
    »Servus!«, sagte Braga zu mir.
    »Servus!«, sagte Gerke.
    »Servus!«, sagte ich.
    Als wir uns die Hände schüttelten, fiel die Eingangstür zu. Franziska Hrubesch war draußen.
    »Wie hat sie reagiert?«, fragte ich.
    »Gar nicht«, sagte Gerke. »Sie ist bloß dagestanden, hat sie angeschaut.«
    »Sie hat auch nichts gefragt«, sagte Braga, ein ausgezeichneter Scorer, wie mir ein jüngerer Kollege einmal erzählt hatte. Leider hatte ich vergessen zu fragen, was ein Scorer genau tat außer mit einem Basketball zu hantieren.
    »Was weiß sie?«, fragte ich.
    »Dass ihre Tochter an einem Mix aus Alkohol und Tabletten starb«, sagte Gerke.
    Wir gingen die Stufen zum Vorplatz hinunter, wo plötzlich die Sonne schien. Frau Hrubesch stand an der Einfahrt, zur Straße gewandt.
    »Habt ihr nicht mit ihr gesprochen?«, fragte ich.
    »Logisch«, sagte Braga. Wie sein Kollege trug er weiße Turnschuhe, die unwirklich groß und sauber wirkten.
    »Wir haben sie vom Zug abgeholt, wir wollten sie zum Kaffee einladen, aber sie wollte nicht. Sie wollte gleich hierher. Auch Dr. Ekhorn hat mit ihr gesprochen, sie hat ihm bloß zugehört. Er hat sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, dass ihre Tochter Selbstmord begangen hat. Sie zuckte bloß mit der Schulter. Und dann hat sie sie angestarrt, mindestens eine halbe Stunde, im Stehen. Dann setzte sie sich auf den Stuhl, den Dr. Ekhorn für sie hingestellt hatte, und starrte ihre Tochter weiter an. Nochmal eine halbe Stunde.«
    »Mindestens«, sagte Gerke.
    »Mindestens«, sagte Braga.
    Soweit ich wusste, spielten sie nicht im selben Team Basketball, und so unzertrennlich sie auch in der Mordkommission zusammenarbeiteten, in ihrer Freizeit ging jeder seiner Wege, außer sie spielten gegeneinander. Als Kollegen in einer Sonderkommission waren sie unschlagbar.
    Wir verabschiedeten uns.
    »Servus!«, sagte ich.
    »Servus!«, sagte Gerke.
    »Servus!«, sagte Braga.
    Sie stiegen in ihren weißen Dienstopel, und ich ging zu Frau Hrubesch.
    »Mein Name ist Tabor Süden«, sagte ich.
    Sie hob den Kopf. Sie hatte helle blaue Augen und ein eingefallenes Gesicht. Wie viele alte Frauen trug sie einen grauen Mantel, braune Schuhe und

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