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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Wasser. Sie hielt es mit beiden Händen fest und trank.
    »Er ist früher dauernd mit der Straßenbahn gefahren«, sagte sie. »Das war sein Lieblingsgefährt. Kein Auto, keine U-Bahn, nur Straßenbahn. Stundenlang. Er hat sogar seine Rollen in der Straßenbahn gelernt. Jeden Monat kaufte er sich eine Karte, regelmäßig, gesamter Innenbereich, bis nach Grünwald konnte er mit seiner Karte fahren.«
    Ich nahm ihr das Glas ab.
    »Sind Sie sicher, dass er den Namen der Frau nicht genannt hat?«
    Sie nickte. Dann fiel ihr ein, was ich am Anfang zu ihr gesagt hatte. »Ja«, sagte sie. »Ich bin mir sicher. Er hat nur gesagt: ›die Frau‹.«
    »Haben Sie einen Verdacht, wen er gemeint haben könnte?«
    »Nein«, sagte sie.
    Ich sagte: »Wir machen eine Pause. Möchten Sie etwas essen?«
    Erschöpft lehnte sie sich an die Wand.
    Nach drei Stunden brach ich die Vernehmung von Clarissa Holzapfel ab. Aus dem türkischen Lokal im Erdgeschoß hatten wir uns Börek und Salat bringen lassen. Während wir aßen, fragte ich sie ein wenig über ihren Sender aus, bei dem sie anscheinend nicht mehr lange arbeiten würde, und sie erkundigte sich vorsichtig nach meinen Beobachtungen in der Wohnung von Inge Hrubesch. Dann schaltete ich wieder den Recorder an.
    Ich hatte keinen Grund daran zu zweifeln, dass sie Holzapfel nach der Begegnung in und vor ihrem Haus nicht mehr gesehen hatte. Und dass er nichts weiter gesagt hatte als diesen einen Satz.
    »Ich hab die Frau umgebracht.«
    Nach Meinung von Volker Thon, meinem Vorgesetzten, sagte Clarissa nicht die Wahrheit.
    »Die trickst von Anfang an«, sagte Thon. »Was steht hier?« Er blätterte in den drei Seiten meines Berichts, den ich in meinem Büro geschrieben hatte, umringt von Kollegen, die grinsten, weil ich in ihren Augen urlaubsunfähig war.
    »Hier steht«, sagte Thon, »sie hat behauptet, ihn vor zwei Jahren zum letzten Mal gesehen zu haben. Sie hat uns bewusst getäuscht.« Er nestelte an seinem Seidenhalstuch und sah uns herausfordernd an: Paul Weber, Sonja Feyerabend, Freya Epp und mich. Vielleicht schätzte ich seinen Blick falsch ein, vielleicht war er nicht provozierend, sondern einfach aufmunternd. Doch mit solchen Bewertungen musste ich vorsichtig sein. Nur weil meine Sympathie für Thon extrem schwankte, neigte ich dazu ihm zu misstrauen. Was ging es mich an, dass er nach teurem Aftershave duftete und besser gekleidet war als jeder andere Polizist im Dezernat? Dass er ständig an seinem Halstuch herumspielte und die Angewohnheit hatte, seine Hände zu reiben, als habe er sie gerade eingecremt? Dass er blaue Seidensocken zu seinen Slippern trug? Das ganze Jahr über strahlte er Gesundheit und Jugendlichkeit aus, er wirkte, als verbringe er jede Minute seiner Freizeit in Fitnessstudios oder beim Joggen und ernähre sich abartig biologisch. Dabei hatte er eine Frau und zwei Kinder, und ich wusste, dass er eigentlich nie Sport trieb, sondern sich seiner Familie ebenso leidenschaftlich hingab wie seiner Arbeit als Hauptkommissar. Von den Kollegen in der Vermisstenstelle und, soweit ich wusste, auch von denen bei den Todesermittlern und der Brandfahndung war er neben Paul Weber der Einzige, der verheiratet war, der so etwas wie ein funktionierendes Privatleben hatte, einen ganz eigenen Bereich, der allein ihm gehörte.
    Volker Thon war fünfunddreißig, einer der jüngsten Kommissariatsleiter im Land, und ganz egal, was er anzog, wie er roch und welche Ticks er hatte – an der Effektivität seiner Abteilung zweifelte niemand.
    Trotzdem mochte ich ihn selten.
    »Kannst du uns erklären, was sich da hinter den Kulissen abspielt?«, fragte er. Aus einem silbernen Etui nahm er ein Zigarillo, legte das Etui ordentlich zwischen einen bunten Behälter mit Stiften und das Foto seiner Familie und zog ein auffallend poliertes Zippo aus seiner Jacke, einem Leinensakko.
    »Entschuldigung«, sagte Sonja Feyerabend. Thon sah sie freundlich an.
    »Würde es Ihnen was ausmachen, nicht zu rauchen?«
    Thon sah sie nicht mehr freundlich an.
    »Ja«, sagte er.
    »Bitte«, sagte Sonja.
    »Ich kipp das Fenster, wenn Sie möchten.«
    »Wenn Sie das Fenster kippen, wird es zu laut«, sagte sie.
    Seit Jahren weigerte sich das Ministerium Geld für Schallisolierung unserer Büros auszugeben. Die meisten Büros gingen auf die Straße und der Lärm bei offenem oder halb offenem Fenster war unerträglich.
    Anstatt das Zigarillo wegzulegen, kaute Thon darauf herum. Ein Anblick, der Sonja, wenn ich

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