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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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duschen.«
    Ich stand auf. »Kommt es häufig vor, dass Alkoholiker sich umbringen? Nicht durch den Alkohol, auf andere Weise.«
    »Natürlich«, sagte er. »Aber schon das Trinken ist oft eine Methode zum Selbstmord. Und oft kann das niemand beweisen. Jemand trinkt sich zu Tode, heißt es. Unterstellen wir ihm Absicht, wie jemandem, der sich aufhängt? Bei so jemandem ist es offensichtlich, er ist freiwillig aus dem Leben geschieden. Aber bei Alkoholkranken neigen wir, vor allem die Angehörigen, dazu zu sagen, er war eben süchtig, er hats nicht hingekriegt, der Arme. Ohne psychologische Autopsie haben Sie in solchen Fällen keine Chance, die wahren Ursachen und Motive kennen zu lernen. Und es gibt praktisch keinen Selbstmörder, bei dem keine psychische Ursache festzustellen ist. Das wäre fast ein Widerspruch. Erst wenn man die mentale Verfassung des Selbstmörders rekonstruiert hat, kann man entscheiden, ob es sich tatsächlich um einen Selbstmord oder um einen Unfall gehandelt hat. Eine äußerst wichtige Klärung, nicht nur für die Familie, auch für die Polizei, wie Sie wissen. Ich betone noch mal, Alkoholmissbrauch kann eine Form des versteckten oder natürlich auch offenen Selbstmords sein, wenn Sie jedoch von einer anderen Form des Suizids sprechen, durch Erhängen, durch Waffen, durch Tabletten, müssen Sie davon ausgehen, dass der Tat eine psychische Krankheit zugrunde liegt. Depressionen etwa, manische Depressionen, Borderlinesyndrome, antisoziale Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie … Diese Menschen sind diagnostizierbar psychisch krank.«
    »Welche Störung haben Sie bei Johann Farak festgestellt, Doktor Posch?«, fragte ich.
    »So weit sind wir nicht gekommen, wie Sie wissen«, sagte er. »Ich vermutete eine Art manischer Depression, zumindest im Anfangsstadium. Er hat mir nichts erzählt, was seine frühen Jahre betrifft, womöglich zeigte er bereits bestimmte Auffälligkeiten in seiner Jugend und Kindheit, er hat mir nichts gesagt, er hat nur geredet.«
    »Worüber?«
    »Über seine Bilder, über Leute, die er kennt, über Tagesaktualitäten, banales Zeug.«
    »Und Sie haben nicht versucht, ihn … runterzubringen?«
    »Was denn sonst, Herr Süden?«
    Wir standen im Flur, vor einem schmalen hohen Spiegel, in dem unsere Gesichter von der Reflexion des Lichts glänzten.
    »Bei unserer letzten Sitzung ging ich aus dem Zimmer und ließ ihn einfach weiterreden. Er begriff überhaupt nicht, was passierte. Danach haben wir uns nicht mehr gesehen.«
    »Und in dem Wust von Worten, mit dem er Sie zugeschüttet hat, war nichts, was Sie aufhorchen ließ? Was Sie auf eine Spur zu den Ursachen seines Zustands gebracht hat?«
    »Das Einzige«, sagte der Arzt, »woran ich mich erinnere, ist sein Ausspruch: Alles, was ich mache, ist wertlos und sinnlos, und das war es immer. Etwas in der Art. Natürlich habe ich versucht, an dieser Stelle einzuhaken, aber da war er schon wieder weit weg, platzte schier vor Gerede. Ich weiß nicht, in welchem Zustand er heute ist, damals kam er mir bei aller Verzweiflung, unter der er litt, sehr energetisch vor, sehr lebendig, aggressiv, voller Power. Aggressionen sind auch Zeichen von Lebendigkeit .
    Und diese Mischung, Herr Süden, ist eine der gefährlichsten, die es gibt. Jemand, der sich in einer Depression befindet, dazu krankhaft trinkt und gleichzeitig wie aufgedreht, wie überdreht durch die Welt geht, dessen Zustand ist in höchstem Maße lebensbedrohlich. Eine amerikanische Dichterin, die diese Zustände aus eigener Erfahrung kannte, sprach von einer furchtbaren Energie, die sie nicht zur Ruhe kommen ließ, wie ein Tiger im Käfig, der auf und ab läuft, berstend vor unerträglicher Unruhe .
    Menschen, die sich in solchen Zuständen befinden, sind extrem selbstmordgefährdet. Und ich glaube, Johann Farak befand sich in solchen Zuständen von Kindesbeinen an. Ich kann es nicht beweisen, ich weiß es nicht, ich vermute es nur. Ich weiß nicht einmal, ob es in seiner Familie schon Fälle von Selbstmord gegeben hat. Wissen Sie es?«
    »Nein«, sagte ich. Und nahm mir vor, danach zu fragen .
    »Was werden Sie jetzt tun?«
    Ich sah in den Spiegel und begegnete dem Blick des Arztes. Ich wusste keine Antwort.
     
    Ich ging einfach immer weiter, über die kleine Brücke, unter der der Eisbach fließt, quer über die Wiese, eine weite Strecke, bis ich das schlammige Erdreich unter meinen Schuhen bemerkte. Zurück auf dem Kiesweg, waren meine Stiefel und ein Teil der

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