Süden und die Frau mit dem harten Kleid
niedrig war wie der Elektroherd daneben .
»Mathilda hat mich angerufen.«
»Wann?«
»Heute Morgen.«
Ich löffelte den Rest der Suppe und leckte mir die Lippen .
»Nachschlag?«, fragte Andrea.
Ich schüttelte den Kopf. Sie nahm den Teller, ließ Wasser drüber laufen und stellte ihn in die Spülmaschine. Außer dem leisen Brummen des Kühlschranks war kein Geräusch in der Wohnung zu hören. Wahrscheinlich schlief die Mutter.
Andrea setzte sich auf den Stuhl an der Längsseite des Tisches.
»Ich hab lang überlegt, ob ich hinfahren soll«, sagte sie . »Diese Jahre mit ihm haben mich ausgelaugt, aber das hab ich erst hinterher gemerkt. Ich hab gedacht, ich kann ihm helfen. Ich hab echt geglaubt, irgendwann ändert er sich, macht was aus seinem Leben, hört mit dieser dämlichen Malerei auf, macht was Anständiges.«
»Was?«, fragte ich.
Sie sah zur Tür, dann mit müdem Blick zu mir .
»Alles, bloß nicht mehr das, was er tat. Alles … alles …«
Ich beugte mich vor und legte die Hände auf den Tisch .
»Wie lange waren Sie mit ihm zusammen?«
»Fast zehn Jahre.«
»In dieser Zeit haben Sie ihn finanziell unterstützt.«
»Drücken Sie sich immer so geschwollen aus?«, fragte sie.
Die Müdigkeit in ihren Augen hatte sich innerhalb einer Sekunde in Aggressivität verwandelt, die sie selbst am meisten erschreckte.
»Entschuldigung«, sagte sie hastig. »Entschuldigung, Herr … Herr Süden, ich hab nur plötzlich an … Finanziell unterstützt, Sie haben ja Recht, das hab ich getan, ihn unterstützt, auch mit Geld, vor allem mit Geld. Wovon hätte er sonst leben sollen?«
»Er hatte keinen Job?«, fragte ich.
»Doch!«, sagte sie und ihr Gesicht wurde hart. »Doch, er hat gemalt, das wissen Sie doch! Er hat Holz geschnitzt und es bemalt. Und manchmal hat er auch richtige Bilder gemalt, auf Papier, mit Ölfarbe, mit Aquarellfarbe, mit Buntstiften, das war sein Job. Leider kein Job, der ihm viel Geld eingebracht hat, meist gar keins. Keins. Keine Mark.«
»Was hat er getan, bevor Sie ihn kennen lernten?«
»Dasselbe.«
»Und wer hat damals für ihn bezahlt?«
Sie schüttelte den Kopf und stand auf. Wieder blickte sie zur Tür. Legte die rechte Hand flach auf ihren Bauch und zog die Schultern hoch, wie sie es vor der Haustür getan hatte. Sie atmete mit offenem Mund. Ohne es zu merken, stand sie da, in sich verzurrt, abwesend, mitten in einer noch immer nicht überwundenen Vergangenheit.
»Gehen Sie ruhig zu Ihrer Mutter!«, sagte ich.
Sie schien mich nicht verstanden zu haben. Ich lehnte mich zurück und sah zu ihr hinauf. Jetzt bemerkte sie meinen Blick.
»Entschuldigung«, sagte sie wieder. »Sie hat …« Sie stöhnte, drückte den Kopf in den Nacken und setzte sich zur Tür gewandt hin. »Dr. Posch nennt es Altersdepression . Viele alte Menschen haben das, sie sind niedergeschlagen, sie fangen plötzlich an zu weinen, sie kapseln sich ab, sie sprechen nicht mehr. Meine Mutter ist siebzig, das ist eigentlich noch nicht so alt, aber sie hat … Sie war früher schon so. Sie hat dann getrunken, früher, meine ich, heute nicht mehr, heute rührt sie keinen Tropfen an. Ich weiß nicht, ob das besser ist. Ein Schnaps zwischendurch ist gesund, das weiß ich, mir hilft er jedenfalls. Wollen Sie noch einen?«
»Jetzt nicht«, sagte ich.
»Sie wohnt zur Zeit bei mir, im kleinen Zimmer, was soll ich machen? Sie hat sonst niemand. Mein Vater ist tot .
Und Freunde hat sie keine, sie hat ein paar Bekannte aus dem Amt, wo sie gearbeitet hat, sie war beim Einwohnermeldeamt, die Frauen besuchen sie auch, aber da passiert nichts. Die kommen, reden ein bisschen und ziehen wieder ab. Die sind auch alle allein, und das wollen sie auch bleiben. Ist seltsam, nicht? Anstatt dass man sich zusammentut, wenn man allein ist, will man erst recht allein bleiben.«
»Aus Gewohnheit«, sagte ich.
»Bitte?« Irritiert hob sie den Kopf, den sie, wie erschöpft, in die Hand gestützt hatte. »Aus Gewohnheit … kann sein. Was meinen Sie damit?«
»Das Alleinsein kann man wenigstens«, sagte ich .
»Ich nicht«, sagte sie und stand auf. »Ich kann das nicht. Ich bin froh, dass ich den halben Tag unter Leuten bin . Ich bin an der Balthasar-Neumann-Schule im Harthof, nicht weit von hier, Gott sei Dank ist mein Platz dort sicher! Ich hab vorher in Schwabing unterrichtet, nach der Trennung von Johann musste ich umziehen, ich wollte eine billigere Wohnung. Ich hab mich an der Schule hier beworben, und es hat
Weitere Kostenlose Bücher