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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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»runterzukommen«. Anscheinend war er durch den Englischen Garten, in dessen Nähe sich seine Wohnung befand, nicht gelaufen, sondern geprescht. Ich hatte vor der Tür gewartet, und er hatte mich außer Atem begrüßt.
    »Ich seh ihn manchmal an der Münchner Freiheit«, sagte er. »Meiner Meinung nach ist er Alkoholiker, das ist seine Krankheit. Aber wie die meisten Alkoholiker weigert er sich, seine Krankheit zur Kenntnis zu nehmen.«
    Ich sagte: »Das trifft nicht nur auf Alkoholiker zu.«
    Er hielt in seinem Hin-und-her-Gehen inne, schnaufte, trank einen Schluck. Er war um die fünfzig, schlank, hatte eine sonnengebräunte Haut und trug eine graue Markensporthose und ein billiges Sweatshirt mit der Zahl vierundzwanzig auf der Brust. Seine Nike-Schuhe hatte er im Flur ausgezogen, ebenso die roten Socken. Barfuß schlurfte er über den Teppich, während ich auf der Ledercouch saß.
    »Das Problem ist, wie Sie wissen, Alkohol ist ein gesellschaftliches Spielzeug, jeder spielt damit, und wenn Sie nicht mitspielen, fallen Sie auf.«
    »Warum, glauben Sie, hat Johann Farak angefangen zu trinken?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Haben Sie ihn nicht danach gefragt?«
    »Doch.« Er stellte die Flasche auf den Tisch, nibbelte mit dem Handtuch, das er um die Schulter gelegt hatte, seinen Nacken und ließ sich auf einen Stuhl fallen, der genauso aussah wie die Stühle, die unser Polizeipsychologe in seiner Praxis stehen hatte. »Ich hab ihn gefragt, warum er trinkt, er antwortete, er hätte Übung darin.«
    »Das ist eine kluge Antwort«, sagte ich .
    »Das ist eine dumme Antwort«, sagte der Arzt .
    »Es ist die Wahrheit.«
    Er gab schnurrende Laute von sich. Seine gespreizten Zehen tippten abwechselnd auf den Boden .
    »Ist dieser Mann suizidgefährdet, Doktor Posch?«, fragte ich. Klang das geschwollen?
    »Das weiß ich nicht«, sagte er und richtete sich auf. Anscheinend kam er endlich runter. »Wir haben uns ungefähr fünf- oder sechsmal gesehen, er kam zu mir und redete drauflos, er hatte nicht das geringste Interesse daran, von mir etwas zu erfahren.«
    Ich sagte: »Was hätte er von Ihnen erfahren können?«
    Posch benötigte nicht einmal fünf Sekunden, um die Irritation über meine Frage in ein Grinsen zu verwandeln.
    »Etwa …«, begann er, machte eine kurze Pause und fuhr, immer noch halbseitig lächelnd, fort, »… welche Möglichkeiten zur Veränderung er hätte.«
    »Lassen Sie mich raten, Doktor Posch«, sagte ich. »Sie hätten ihm empfohlen, das Saufen sein zu lassen.«
    Immerhin hörte der Arzt auf zu grinsen, was ich angemessen fand.
    »Was wollen Sie eigentlich von mir, Herr …«
    Diese Form der Provokation war so billig wie das Sweatshirt, das er anhatte und sich vermutlich von seinem Sohn ausgeliehen hatte .
    »Süden«, sagte ich. »S-ü-d-e-n.«
    Im Schweigen, das folgte, fiel mir auf, wie hell es im Zimmer war, obwohl es draußen dämmerte und hier drin nur ein kleiner Halogenstrahler brannte. Verglichen mit dieser Wohnung war meine ein Verschlag .
    »Ich bin unter anderem dafür zuständig, Leute zu finden, die selbstmordgefährdet sind«, sagte ich, geschwollener denn je. »Und ich dachte, Sie könnten mir vielleicht dabei helfen.«
    »Aber ich kenne den Mann praktisch nicht, den Sie suchen.« Er erhob sich und tupfte sich mit dem Zipfel des Handtuchs den Mund ab, als wäre es eine Serviette und er hätte gerade sein Hors d’œuvre beendet. »Es ist Jahre her, dass er bei mir war, das wissen Sie doch. Oder besser gesagt: Dass Frau Langer ihn zu mir geschickt hat .
    Wenn sie nicht gewesen wäre, wäre er noch mehr unter die Räder gekommen. Johann Farak hatte überhaupt kein Ziel, keine Idee, was er mit seinem Leben anfangen sollte, er dachte, es würde immer jemanden geben, der sich um ihn kümmert, er hat jede Verantwortung für sich abgelehnt.«
    »So ein Blödsinn«, sagte ich .
    »Bitte?«
    Er stand mitten im Zimmer, die Hände in den Taschen seiner Jogginghose, fabelhaft selbstbewusst .
    »Woher wissen Sie, dass er die Verantwortung für sein Leben abgelehnt hat?«, sagte ich. »Sie kennen ihn nicht.«
    »Warum sind Sie dann hier?«, fragte er .
    Ich sagte: »Ich habe mich geirrt. Sie kennen Johann Farak nicht und Sie wissen nichts über ihn.« Dennoch blieb ich sitzen, die Ledercouch war ein entspannender Ort .
    »Ich hab noch zu arbeiten, Herr Süden«, sagte er.
    »Wie ich«, sagte ich.
    Da wir schon geübt hatten, schwiegen wir wieder .
    Dann sagte der Arzt: »Ich würde jetzt gern

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