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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Kopf durch die Reihen der Bänke. Kurz darauf machte er kehrt, mit einem Paar Handschuhe und einem Heft in den Händen, Sachen, die jemand vergessen hatte. Hinter einem Vorhang verschwand er .
    Wieder schwiegen wir lange.
    Dann, indem sie den Kopf halb drehte und an mir vorbeisah, flüsterte Mathilda: »Das Mädchen … ist sie hübsch?«
    »Sie sieht eigenwillig aus«, sagte ich .
    »Verstehe«, sagte sie und machte eine lange Pause. »Ich hab ihren Namen vergessen …«
    »Liane.«
    »Liane. Und … und ihre Mutter, haben Sie die auch kennen gelernt?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Und … und sie hat nicht gewusst, dass der Hanse ihr Vater ist?«
    »Nein.«
    »Und … und der Hanse … hat er gewusst, dass er ein Kind hat?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    »Aber … aber die haben sich doch getroffen und die haben doch …« Jetzt sah sie mich an und ich wünschte, ich hätte einen Schutzmantel gegen diesen Blick .
    »Ja«, sagte ich. »Liane wollte ihren Vater kennen lernen, aber sie hat ihm nicht gesagt, wer sie ist.«
    »So eine Gemeinheit!«, sagte Mathilda laut. Sie streckte den Rücken, strich sich über den Mantel und entdeckte neben sich auf der Bank einen weißen Zettel. Sie las ihn .
    Es war ein kurzes Gebet. Beim Hereinkommen hatte ich solche Zettel in Weiß und Gelb auf einigen Bänken liegen sehen.
    »Gott«, sagte Mathilda leise und hielt den Zettel mit zitternden Händen fest. »Ich weiß nicht, wie ich beten soll … Dieses Licht ist ein Zeichen dafür, dass ich hier eine Weile bleiben möchte … in Stille … nahe bei dir … Du siehst mich, du bist nicht fern meinem Leben …«
    Sie beugte sich vor und ihr Körper schwankte und ihre Stimme wurde immer leiser. »… nicht fern meinen alltäglichen Problemen, meiner Familie, meinen Kindern, meiner Arbeit, meiner Gesundheit … meiner Zukunft … Ich opfere dir dieses Licht, weil ich weiß, dass alles von dir kommt, was ich im Leben nötig habe … Ich weiß, dass du mich wie ein Vater liebst und dass ich dich so rufen und ansprechen darf … Vater unser … der du bist im Himmel, geheiligt …«
    Sie verstummte, betrachtete den Zettel und legte ihn auf die Lehne der Vorderbank .
    »Ich hab kein Kleingeld«, sagte Mathilda.
    Ich stand auf, holte Münzen aus meinem Geldbeutel, warf sie in den Blechkasten und zündete zwei Kerzen an, eine für Mathilda und eine für ihren Bruder Johann .
    Dann drehte ich mich um. Mathilda kniete in der Bank und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Und weil ich noch Münzen übrig hatte, entzündete ich zwei weitere Kerzen, eine für dich, Liane, und eine für Karl Funkel, der für das Licht der Welt nur noch ein Auge hatte .
    Ich setzte mich wieder unter dem unerschütterlichen Blick der Madonna. Nicht einmal die beiden Bomben, nach deren Einschlag fast die gesamte Kirche in Schutt und Asche versunken war, hatten die Macht gehabt, Marias Kleid aus hartem Gold zu zerstören.

11
    S ie begrüßte mich, indem sie mir die Hand hinstreckte und dann meine festhielt, und ich empfand dieses Festhalten sofort wie das eines Menschen, der sich in Todesnot an jemanden klammert, im offenen Meer oder am Rand einer Schlucht. Ich bemerkte die schlecht vernarbten Wunden auf ihrer Handfläche, und als ich ihr ins Gesicht sah, traf mich der Blick einer in die Tiefe der Nacht gestürzten Frau. Da war nichts in den Augen deiner Mutter, das geleuchtet hätte oder leicht gewesen wäre, bloß zu schauen, dazu war sie nicht fähig, jedes Öffnen der Lider verlangte ihr eine Anstrengung ab, als müsse sie ein schweres Eisengitter nach oben schieben, und wenn es hell wurde, war sie zu erschöpft, das Licht und die Dinge und Menschen zu verkraften. Also ließ sie die Lider rasch wieder fallen und fürchtete sich vor dem nächsten Moment.
    Vielleicht wäre sie am liebsten im Dunkeln geblieben, vielleicht hätte sie eine Sonnenbrille aufsetzen sollen, damit sie ihre Blicke ganz bei sich behalten konnte .
    »Setzen Sie sich zu den anderen!«, sagte sie mit einer Stimme, die wie geliehen klang.
    Wie ich feststellte, war ich nicht der erste Besucher an diesem frühen Sonntagnachmittag, nicht einmal der erste Polizist. Auf zwei Stühlen an einem runden Tisch saßen meine Kollegen Paul Weber und Freya Epp .
    Zunächst dachte ich, sie seien wegen deinem Vater hier .
    »Grüß dich, Tabor«, sagte Weber, wuchtete seinen Körper in die Höhe und gab mir die Hand. Auch Freya stand auf.
    »Tag, Herr Süden«, sagte sie.
    Die beiden setzten sich

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