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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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starrte sie zu mir her. Ich senkte den Kopf .
    Als ich ihn wieder hob, hatte deine Mutter ihre Augen geschlossen.
    »Haben Sie sich gestritten?«, fragte Weber .
    Wieder schüttelte deine Mutter den Kopf. Dann verzog sie unter Schmerzen das Gesicht, griff sich vorsichtig an die Stelle am Kinn, wo das Pflaster klebte, und begann mit dem Oberkörper vor und zurück zu wippen wie bei einer meditativen Übung.
    »Nicht gestritten«, sagte sie und brachte die Worte nur mit Mühe über die Lippen. »Wir haben … nicht mehr gestritten … wir streiten nicht mehr … Sie macht, was sie will, und ich … ich kann doch nichts … sie ist neunzehn, volljährig, ich will ihr auch nichts vorschreiben … Aber sie ist doch noch gar nicht … Sie hat die Schule fertig gemacht, Gott sei Dank … Sie war im Gymnasium, ich wollt, dass sie studiert, was Ordentliches … schon was, was ihr Spaß macht, das schon …«
    Jetzt stand ich hinter Weber, und das war keine gute Stelle. Ich wusste nicht, was mit mir los war, vielleicht dauerte mir die Vernehmung nun doch zu lang, und in der Zwischenzeit passierten Dinge, die wir verhindern mussten. Da fiel mir etwas ein .
    »Darf ich mal telefonieren?«, fragte ich .
    Sofort schob deine Mutter den Stuhl zurück und stand auf.
    »Kommen Sie!«, sagte sie .
    Freya sagte: »Ich hab doch ein Handy dabei.«
    Aber deine Mutter war schon auf dem Weg in den Flur .
    Als hätte ich ihr ein Signal zum Aufbruch gegeben. Wie erlöst eilte sie vor mir her und zeigte auf eine Kommode, auf der ein schwarzes Telefon mit Schnur und altmodischer Wählscheibe stand .
    »Danke«, sagte ich.
    »Das ist Lilis Telefon«, sagte deine Mutter. »Sie wollte genau so eins, so wie früher, Herr Süden.«
    Eigenartig, dass sie sich an meinen Namen erinnerte .
    »Haben Sie eine Ahnung, wo Ihre Tochter sein könnte?«, sagte ich, obwohl mir klar war, dass Weber sie danach gefragt hatte.
    Deine Mutter blickte zu Boden. Da fiel mir eine kahle Stelle an ihrem Hinterkopf auf, an der keine Haare mehr wuchsen.
    Sie blieb neben mir stehen, den Kopf gesenkt .
    »Süden«, sagte ich ins Telefon. »Wir müssen zwei Kollegen in den Nymphenburger Park zu einer vorübergehenden Observation schicken …« Ich beschrieb der Kollegin vom Bereitschaftsdienst das Areal um den Badenburger See.
    »Nein«, sagte ich schließlich. »Mich kannst du nicht erreichen, Freya Epp hat ein Handy.«
    »Wieso hast du keins? Hast dus verloren?«, fragte die Kollegin.
    »Ich besitze keins.«
    »Warum nicht? Hast du Angst vor einem Gehirntumor?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich brauche keins.«
    »Natürlich brauchst du eins, das sieht man doch.«
    »Ich brauch keins.«
    »Und hinterher heißts wieder, ihr seid nicht rechtzeitig benachrichtigt worden.«
    »Nein«, sagte ich und legte den Hörer auf die große geschwungene Gabel. »Wir machen jetzt eine Liste von Plätzen, die Ihre Tochter gern besucht«, sagte ich zu deiner Mutter.
    Bevor wir die Tür zum Wohnzimmer erreichten, griff sie nach meinem Arm .
    »Wie geht es Lili?«, flüsterte sie .
    »Gut«, sagte ich.
    »Was wollte sie denn in dem Park in der Nacht?«, sagte sie. Ihre Lider flackerten. Vermutlich hatte sie wieder Schmerzen im Unterkiefer.
    »Ich glaube, sie wollte ihren Vater treffen.«
    Und mit einer vollkommen unerwarteten Bewegung schlang deine Mutter von hinten ihre Arme um mich und presste den Kopf in meinen Nacken.
     
    Nach zwei Stunden beendeten Weber und Freya ihre Befragung, unzufrieden, vielleicht auch verärgert über mich, weil ich mich mit keinem Wort eingemischt hatte .
    Bis deine Mutter mich losgelassen hatte und verlegen zuerst ins Bad gegangen und dann an den runden Tisch zurückgekehrt war, waren zehn Minuten vergangen, und Weber hatte mich gefragt: »Was sollen wir noch hier?«
    Und ich hatte gesagt: »Lass uns zuhören, das Mädchen ist in einer schlechten Verfassung, niemand von uns hat eine Ahnung, was sie noch alles anstellt.« Weber war aufgestanden, hatte seinen Hemdkragen gelockert, den Knoten der Krawatte ein Stück nach unten gezogen, war zum Fenster gegangen, hatte geschnauft und den Knoten wieder zugezogen.
    Im Bad hatte deine Mutter einen anderen Pullover angezogen, von den Farben her ähnelte er dem, den sie vorher anhatte, aber er war viel enger, mindestens zwei Nummern zu klein.
    Wortlos setzte sie sich auf ihren Stuhl, die Hände im Schoß. Sie hatte Rouge aufgelegt und sich mit Parfüm eingesprüht. Müde betrachtete sie die Gläser, die Wasserflasche, die

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