Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Oder sie hatte von vornherein auf niemanden gewartet. Als sie bezahlt hatte und nach draußen ging, stand ich eilig auf, bezahlte und folgte ihr. Ihr roter Mantel leuchtete im Gedränge. Ich schob mich hinter ihr her durch die Menschenmenge.
Kurz darauf hob sie die Hand, um ein Taxi anzuhalten. Sogleich blinkte eins und fuhr an den Straßenrand. Ich musste sie ansprechen. Saß sie erst einmal im Taxi, war alles vorbei. Doch kaum schickte ich mich an, auf sie zuzugehen, packte mich jemand so fest am Ellbogen, dass mir kurz der Atem stockte, obwohl es nicht wehtat. Ich wandte mich um und blickte in das Gesicht eines Mannes mittleren Alters.
Er war etwa fünf Zentimeter kleiner als ich und untersetzt. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er trug einen dunkelgrauen Mantel und einen Kaschmirschal. Beides sah teuer aus. Sein Haar war akkurat gescheitelt. Das Gestell seiner Brille war aus Schildpatt. Er wirkte durchtrainiert und war braun gebrannt. Vielleicht fuhr er Ski. Oder spielte Tennis. Izumis Vater, der so leidenschaftlich gern Tennis gespielt hatte, war immer ähnlich gebräunt gewesen. Der Mann hatte vermutlich eine leitende Position in einer angesehenen Firma. Vielleicht war er auch ein höherer Regierungsbeamter, denn sein Blick war der eines Menschen, der es gewohnt ist, Befehle zu erteilen.
»Lassen Sie uns zusammen einen Kaffee trinken«, sagte er mit ruhiger Stimme.
Meine Augen folgten der Frau im roten Mantel. Als sie sich vorbeugte, um ins Taxi zu steigen, sah sie durch ihre Sonnenbrille in unsere Richtung. Zumindest kam es mir so vor. Die Taxitür schloss sich, und damit war sie meinen Blicken entschwunden. Ich blieb allein mit dem seltsamen Mann zurück.
»Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen«, sagte er. Er sprach fast ohne Betonung und wirkte weder zornig noch aufgeregt. Noch immer hielt er ungerührt meinen Ellbogen fest, nicht anders, als würde er jemandem die Tür aufhalten. »Beim Kaffee können wir über alles reden.«
Natürlich hätte ich einfach gehen können. »Ich will weder mit Ihnen Kaffee trinken noch reden. Ich kenne Sie ja nicht mal. Entschuldigen Sie mich, ich bin in Eile«, hätte ich sagen können. Stattdessen nickte ich nur stumm und folgte ihm zurück ins Café. Vielleicht machten mir auch sein Griff und die darin spürbare Unbeugsamkeit ein wenig Angst. Er verstärkte die Umklammerung weder, noch lockerte er sie. Der Druck blieb präzise der gleiche, wie bei einer Maschine. Was würde dieser Mann wohl tun, wenn ich mich seinem Vorschlag widersetzte?
Ich hatte Angst, doch zugleich war ich neugierig. Was er mir wohl zu sagen hatte? Vielleicht konnte ich durch ihn einige Informationen über die Frau erhalten? Nun, da sie verschwunden war, war er die einzige Verbindung zwischen ihr und mir. Außerdem konnte er im Café ja schlecht handgreiflich werden.
Wir setzten uns an einen Tisch. Bis die Bedienung kam, sprachen wir kein Wort und schauten uns nur über den Tisch hinweg an. Der Mann bestellte zwei Kaffee.
»Warum sind Sie ihr denn gefolgt?«, fragte er mich in höflichem Ton.
Ich antwortete nicht.
Er musterte mich ausdruckslos. »Ich weiß, dass Sie ihr die ganze Zeit von Shibuya bis hierher nachgegangen sind«, sagte er. »Wer jemandem so lange folgt, wird unweigerlich bemerkt.«
Ich schwieg. Also hatte sie bemerkt, dass ich ihr folgte, und war in das Café gegangen, um diesen Mann anzurufen.
»Wenn Sie nicht reden wollen, lassen Sie es. Ich weiß auch so, was los ist«, sagte er. Falls er wütend war, änderte das keinen Deut an seinem höflichen, ruhigen Ton.
»Ich kann alles Mögliche tun«, sagte er. »Glauben Sie mir. Alles, was ich will.«
Er musterte mich stumm und gab mir so zu verstehen, dass damit alles gesagt war. Ich schwieg hartnäckig.
»Dieses Mal will ich kein Theater machen und die Sache auf sich beruhen lassen. Aber nur dieses eine Mal. Haben Sie mich verstanden?«. Der Mann nahm die rechte Hand vom Tisch und zog einen weißen Umschlag aus seiner Manteltasche. Die linke ließ er dabei die ganze Zeit über auf dem Tisch. Es handelte sich um einen neutralen weißen Briefumschlag. »Also nehmen Sie das und schweigen Sie. Da Sie nur im Auftrag handeln, möchte ich die ganze Sache möglichst friedlich regeln. Und ich will nicht, dass Sie darüber reden. Sie haben nichts gesehen, und unsere Begegnung hat nie stattgefunden. Verstanden? Falls ich erfahre, dass Sie doch geplaudert haben, werde ich Sie finden, und dann ist Schluss. Also hören
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