Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Beifahrersitz eines blauen Mercedes 260 E saß, schrie etwas und rannte zu ihm hin. Das Mädchen, das eine rote Wollmütze aufhatte, lehnte sich aus dem Fenster des Wagens. Die Mutter trug einen roten Kaschmirmantel und eine große Sonnenbrille. Als ich mich dem Wagen näherte und meine Tochter an die Hand nahm, lächelte sie mir freundlich zu. Ich lächelte zurück. Der rote Mantel und die Sonnenbrille erinnerten mich an Shimamoto, damals, als ich ihr von Shibuya nach Aoyama gefolgt war.
»Guten Tag«, sagte ich.
»Guten Tag«, erwiderte sie.
Sie war eine schöne Frau, wahrscheinlich nicht älter als fünfundzwanzig. Aus der Stereoanlage ihres Wagens ertönte »Burning Down the House« von den Talking Heads. Auf dem Rücksitz lagen zwei Papiertüten von Kinokuniya. Ihr Lächeln war betörend. Meine Tochter tuschelte ein bisschen mit ihrer Freundin und verabschiedete sich dann. »Tschüs«, sagte das andere kleine Mädchen und ließ die Scheibe hoch. Ich zog meine Tochter zum Wagen.
»Wie war’s denn heute? Ist was Schönes passiert?«
Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, überhaupt nichts«, sagte sie. »Es war schrecklich.«
»Dann hatten wir ja beide einen schweren Tag«, sagte ich und beugte mich zu ihr, um sie auf die Stirn zu küssen. Sie nahm die Huldigung mit blasierter Miene entgegen, wie der Inhaber eines französischen Restaurants eine American-Express-Karte. »Morgen wird es bestimmt lustiger«, sagte ich.
Ich hätte selbst gern geglaubt, dass die Welt, wenn ich am nächsten Morgen aufwachte, wieder eine eindeutigere Form haben würde und alles wieder im Lot wäre. Doch so einfach war das nicht. Morgen wäre meine Situation vielleicht noch komplizierter. Das Problem war, dass ich verliebt war. Aber auch eine Frau und zwei Töchter hatte.
»Du, Papa?«, sagte meine Tochter. »Ich will reiten. Kaufst du mir irgendwann ein Pferd?«
»Ja, klar, irgendwann«, sagte ich.
»Juhu! Wann denn?«
»Wenn ich genug gespart habe.«
»Hast du eine Sparbüchse, Papa?«
»Ja, eine große. Ungefähr so groß wie unser Auto. So viel muss ich sparen, damit ich dir ein Pferd kaufen kann.«
»Meinst du, wir könnten Opa fragen, ob er mir eins kauft? Opa ist doch reich.«
»Stimmt. Opa hat eine Sparbüchse, die so groß ist wie das Haus da drüben. Und sie ist voller Geld. Aber sie ist so groß, dass er das Geld nicht rauskriegt.«
Darüber musste sie eine Weile nachdenken.
»Aber darf ich Opa trotzdem fragen, ob er mir ein Pferd kauft?«
»Ja, darfst du. Wer weiß, vielleicht kauft er dir sogar eins?«
Wir redeten über das Pferd, bis wir in der Parketage unseres Hauses angekommen waren. Welche Farbe es haben und wie es heißen sollte. Wohin sie auf ihm reiten und wo es schlafen würde. Nachdem ich sie im Fahrstuhl abgesetzt hatte, fuhr ich sofort zum Robin’s Nest. Ich fragte mich, was der morgige Tag bringen würde. Ich legte die Hände auf das Lenkrad und schloss die Augen. Es kam mir vor, als wäre der Körper, in dem ich mich befand, nicht mein eigener. Er fühlte sich an wie eine temporäre Hülle, die ich mir irgendwo ausgeliehen hatte. Was sollte morgen aus mir werden? Ich wollte meiner Tochter so bald wie möglich ein Pferd kaufen. Bevor alles verschwand. Bevor alles verloren war.
12
In den zwei Monaten bis Frühlingsanfang sahen Shimamoto und ich uns fast jede Woche. Sie schaute in einer der Bars vorbei, meist im Robin’s Nest, immer nach neun Uhr. Sie saß am Tresen und trank zwei oder drei Cocktails. Gegen elf ging sie wieder. Sobald sie kam, setzte ich mich zu ihr, und wir redeten. Ich weiß nicht, was meine Angestellten davon hielten, aber es kümmerte mich auch nicht. Es war wie in der Grundschule, damals hatten wir uns auch nichts daraus gemacht, was unsere Mitschüler dachten.
Mitunter rief sie mich in der Bar an und fragte, ob wir am nächsten Tag irgendwo zu Mittag essen könnten. Häufig trafen wir uns in einem Café auf der Omote-sando. Wir aßen eine Kleinigkeit und gingen dann spazieren. Nie verbrachten wir mehr als zwei oder höchstens drei Stunden miteinander. Wenn es Zeit wurde, Abschied zu nehmen, sah Shimamoto auf die Uhr und lächelte mich an. »Ich muss allmählich gehen«, sagte sie. Es war ihr vertrautes, wunderschönes Lächeln; dennoch konnte ich daraus nie ablesen, was sie empfand. Ob es ihr sehr schwer fiel zu gehen oder gar nicht oder ob sie vielleicht sogar erleichtert war, mich los zu sein.
Jedenfalls redeten wir in diesen zwei oder drei Stunden
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