Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption
verzogen, und Barney ist besoffen.«
»Scheiße … Okay, ich fahr hin.«
»Verstanden, Lee.«
Der dicke Hilfssheriff lässt den Knopf wieder los. Dann öffnet er, unentwegt lächelnd, den hinteren Wagenschlag und sagt: »Ich muss leider weg, aber ihr wartet hier brav auf mich, bis ich wiederkomme. Stimmt’s, Beißer?«
Ein cremefarbener Hund, einer Dogge nicht unähnlich, springt aus dem Wagen und baut sich zähnefletschend vor den beiden auf. Geifer rinnt ihm aus dem Maul, und das Halsband spannt sich um den muskulösen Hals.
»Darf ich vorstellen, das ist Beißer. Ein Alano. Die Konquistadoren haben seine Artgenossen als Kampfhunde gegen die Scheißazteken eingesetzt und die Südstaatler als Spürhunde, um entlaufene Sklaven zurückzuholen. Dumm nur, dass vom Sklaven nicht mehr viel übrig blieb, wenn ihn so ein Vieh aufgespürt hat. Aber keine Sorge, Beißer ist nicht die Spur böse, solang man sich nicht rührt. Setzt euch also brav hin, damit er sich eure Haltung einprägen kann. Alles klar?«
»Sir, ich …«
»Fresse, Junge, und setz dich auf deinen Arsch. Du ebenfalls.«
In Brunswicks Augen glimmt jetzt ein Licht. Peter und Wendy setzen sich im Schneidersitz auf den Boden, dicht nebeneinander, Beißer lässt sich ebenfalls nieder, und der dicke Bulle steigt ins Auto, lacht, lässt die Scheibe hochfahren und braust in einer Staubwolke davon.
29
Seit einer ganzen Weile flimmert die Luft über der Straße. Bald wird es dermaßen heiß sein, dass sogar das Gebrumm der Insekten verstummt. Peter zwinkert, um den Schweiß aus den Augen fortzublinzeln. Neben ihm sitzt Wendy und atmet sehr flach. Auf ihrem schönen Gesicht liegt ein Schweißfilm. Trotz der vielen saftigen Brombeeren, die sie gegessen hat, kommt sie vor Durst bestimmt schon um. Ohne den Köter aus den Augen zu lassen, flüstert Peter: »Wendy?«
»Was?«
»Wie geht’s dir?«
»Durst!! Du auch?«
»Ja.«
Ein kurzes Schweigen.
»Peter?«
»Ja?«
»Wie kommen wir hier wieder raus?«
»Ich denk drüber nach.«
Wie ferner Donner klingt Beißers Knurren, und seine Lefzen weichen ein Stück zurück. Aus seinem Maul rinnt ein Speichelfaden.
»Reden wird man ja wohl noch dürfen, oder?«
Beißer stellt sein Rückenfell auf. Dann erhebt er sich ein Stück, entlässt einen langen Strahl Urin und setzt sich wieder, direkt in seine Pisse. Das soll wohl nein heißen. Peter versucht, sich die Landkarte von Mississippi ins Gedächtnis zu rufen, die er so oft studiert hat. Brunswick ist vor rund einer Stunde zur südlichen County-Grenze aufgebrochen, die nicht mehr als dreißig Autominuten entfernt sein kann. Geht man davon aus, dass er etwa ebenso lang dort bleibt, dann ist klar, dass die Zeit drängt. Peter will einen Blick auf die Uhr werfen, aber sie ist umgedreht, und er wagt nicht, die Hand zu heben. Wenn ihn sein Gedächtnis nicht trügt, sitzen sie weniger als drei Meter von der Brombeerhecke entfernt. Wenn man sie überwinden und in den Fluss springen könnte, ehe Beißer reagiert … Der Köter sieht ihn sonderbar an, als erriete er seine Gedanken. Er scheint fast zu lächeln. Peter bewegt sich vorsichtig. In seinem Rucksack hört er es dumpf klirren, und sein Herz setzt einen Moment lang aus. Die Spraydose des Oberaufsehers! Er hat sie nur ein einziges Mal benutzt, um einen ansonsten idealen Lagerplatz von einem Wespennest zu befreien, und konnte bei dieser Gelegenheit feststellen, dass die Dose nicht Tränengas enthält, sondern Pfefferspray. Seitdem weiß er erstens, dass Wespen leider völlig immun gegen den Reizstoff sind, und zweitens, dass die Sprühdose, als er sie das letzte Mal geschüttelt hat, bereits halb leer war. Allerdings ist Beißer zu weit entfernt; um ihn mit dem Strahl zu erreichen, muss er sich ihm nähern. Die Augen des Köters richten sich auf Wendy, die unruhig zappelt.
»Was ist los, Baby?«
»Ich muss aufs Klo.«
»Das darf nicht wahr sein!«
»Doch.«
»Scheiße, ausgerechnet jetzt!«
Wendy kann kaum noch still sitzen, und Peter fürchtet, dass sie mal wieder einen Lachanfall bekommt – das passiert ihr, wenn sie so dringend aufs Klo muss, dass sie es kaum noch aushält. Oft ist es Peter, der sie zum Lachen bringt, und dann ist Wendy sauer, was einer der Gründe ist, weshalb Peter unsterblich verliebt in sie ist. Den Blick starr auf den Hund geheftet, sagt er: »Warum könnt ihr Frauen nie pinkeln, wenn der richtige Zeitpunkt dafür ist?«
»Ich wollte es heute Morgen tun, aber dann ist es wieder
Weitere Kostenlose Bücher