Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption
Zehenspitzen die Treppe hinunter. Wirft einen letzten Blick ins Wohnzimmer. Trumans Haarschopf ragt über die Rückenlehne des Sofas. Er schnarcht.
62
In der Abendpause, nach einem Tag reinster Schinderei, den sie damit zugebracht haben, in lähmender Hitze Erdklumpen zu zerstoßen, sitzen die Verlorenen Jungs auf den Brettern in ihrem Versteck. Howard leitet die Zusammenkunft.
»Wo ist Collie?«
»Auf der Krankenstation. Bei der Feldarbeit hat sein Handgelenk endgültig schlappgemacht.«
»Schlimm?«
»Nö. Er schwebt sowieso in den Wolken, seitdem er Grady fertiggemacht hat.«
Howard wendet sich Peter zu. »Wie stehen wir mit Grady?«, fragt er.
»Er wird nix sagen. Verhandeln kann man trotzdem mit ihm. Er hält Geschäft und Privates strikt auseinander. Stinkt wie die Hölle, ist aber korrekt.«
»Ein verfluchter Rassist ist er, wenn du mich fragst.«
»Ja, schon, aber korrekt.«
»Wie viel will er für Butter und Milch?«
»Vierzig Kippen. Echte, keine selbst Gedrehten.«
»Vierzig Kippen für ein Stück Butter und einen halben Liter Milch? So ein Drecksack. Wir müssen eine neue Salve für ihn veranstalten, und diesmal mit Ezzie.«
Der scheint schon seit Beginn der Besprechung auf Kohlen zu sitzen und horcht auf, als sein Name fällt.
»Was ist übrigens los, du Unruheherd?«, fragt ihn Howard. »Musst du mal für kleine Jungs?«
»Nein, ich hab was zu sagen!«
»Na los, du hast das Wort.«
»Echt? Kann ich’s dann behalten?«
»Nein, Ezzie, Scheiße, das hab ich dir doch schon tausend Mal erklärt: Wenn man zu jemandem sagt, dass er das Wort hat, dann heißt das nicht, dass die anderen für immer das Maul halten müssen, klar?«
»Dann muss ich’s nachher wieder zurückgeben?«
»Ach, vergiss es. Was war denn so wichtig?«
Der Riese zieht die Brauen zusammen und stöbert in seinem Gedächtnis. »Ah ja!« ruft er nach einer Weile und tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Also, ich hab mich jedenfalls schon mal um die Äpfel gekümmert!«
»Jetzt schon?«
»Absolut!«
Mit dramatischem Empfinden fördert er aus seiner Tasche ein in ein verstaubtes Taschentuch gewickeltes Päckchen zutage, das er behutsam vor sich hinlegt, ehe er es auspackt. Wendy beißt sich auf die Lippen, um nicht loszulachen, Howard aber rastet aus.
»Bah, Scheiße! Was für ein Dreck ist das denn?«
»Na, Äpfel!«
»Die sind doch total verfault, deine Äpfel! Widerlich! Wo hast du diese Scheiße her?«
»Lag im Gras. Wieso?«
»Wir brauchen keinen Schweinefraß, Mann, sondern Äpfel für einen Geburtstagskuchen!«
»Und hättest du mir vielleicht freundlicherweise sagen können, dass ich sie von den Bäumen pflücken soll, Mister Howard-ich-mag-kein-Rührei-und-keine-faulen-Äpfel? Jetzt muss sich der dicke Ezzie auf Bäume raufquälen, dabei braucht man sich doch nur zu bücken und findet die köstlichsten weichsten Äpfel im Gras! Aber nein, Mister Howard Cullen hat beschlossen, den Bäumen wehzutun, und der dicke Ezzie muss gehorchen und hoffen, dass die Bäume ihm verzeihen.«
Grimmig zerquetscht der Riese zwei Äpfel zu Brei. In solcher Erregung haben ihn die anderen noch nie erlebt. Er legt das Taschentuch wieder über seinen Schatz. Er ist beleidigt. Howard zündet eine Zigarette an und reicht sie Peter, der sie auf seinem Daumennagel festklopft.
»Was machen wir jetzt mit Grady?«
»Kommt nicht infrage, dass wir ihm diesen Preis zahlen. Wenn die anderen erfahren, dass wir vierzig Kippen berappt haben, verlangen sie für das Mehl das Doppelte.«
»Außerdem bräuchten wir sowieso keine Hilfe von irgendwem, wenn wir so viele Kippen aufbringen könnten.«
Über das Gestrüpp hinweg ertönt ein Pfeifen, und Collie taucht mit eingegipstem Handgelenk auf; sein Arm hängt in einer Schlinge. Er setzt sich neben Wendy. Howard tritt seine Zigarette aus.
»Habt ihr mitgebracht, worum ich euch gebeten habe?«
Wendy schiebt mit der Fußspitze eine große Blechdose zu ihm hinüber.
»Wo hast du das her?«
»Das ist ein Geheimbriefkasten. Im Mädchentrakt vertreiben wir uns die Zeit damit, dass wir uns kleine Nachrichten hinterlassen.«
»Echt? Das ist ja klasse, das Teil. Und wo legt ihr jetzt eure Liebesbriefe rein?«
»Das sind keine Liebesbriefe. Das sind Frauensachen.«
»Okay. Leert eure Taschen und legt alles, was ihr habt, in Wendys Kiste.«
Die Verlorenen Jungs tun wie geheißen, und bald füllt sich die Kiste mit Stahlkugeln, einem Kamm, einem halb leeren Töpfchen Pomade. Peter und
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