Sühnetag - Patterson, J: Sühnetag - Worst Case
Jetzt bin ich gekommen, um euch dem letzten Test zu unterziehen, eurem letzten Charaktertest, mit dem ihr beweist, ob ihr der Welt würdig seid.«
Die Rückkoppelung ließ das Megaphon laut krächzen, als Francis die Taste betätigte.
» Also, hört gut zu!«, rief er. » Frage eins: Während ihr mit den Videospielen beschäftigt wart, die ihr zu Weihnachten bekommen habt, wie viele Vorfälle wurden da im echten Krieg in Irak und Afghanistan verzeichnet?«
81
Vor Mooneys türlosem Stadthaus auf der 25 th Street herrschte reger Tumult. Die Sprengstoffexperten und schwarz gekleideten Geiselbefreier hatten Gesellschaft von etwa dreißig weiteren Uniformierten der Einsatztruppe aus Manhattan bekommen, die den Tatort sichern sollten.
Emily und ich hatten in der Mitte des Bürgersteigs hinter dem Absperrband Stellung bezogen und gingen wie wartende Eltern auf und ab, während wir alle und jeden anriefen, der uns einfiel, um Mooney aufzuspüren.
Wir hatten Schultz mit einem Team in die Wohnung von Mooneys Mutter nach Inwood geschickt. Ramirez war in der Kanzlei, um dort weitere Indizien ans Tageslicht zu befördern, doch bisher stand er mit leeren Händen da.
Alle paar Sekunden blubberten auf der Ninth Avenue Polizeifahrzeuge mit Blaulicht und heulenden Sirenen vorbei.
» Der Commissioner hat die gesamte Tagschicht auf den Fall angesetzt und die Antiterrorgruppe eingeschaltet«, berichtete mir meine Chefin, Carol Fleming. » Fahrzeuge und Personal werden am Times Square, am Rockefeller Center und bei allen größeren Menschenansammlungen in der Stadt aufgestellt.«
Ich stieß frustriert die Luft aus. Da hatten sie sich einiges vorgenommen – ganz Manhattan war eine einzige große Ansammlung von Menschen.
» Außerdem will der Commissioner unbedingt wissen, wie Mooney an Plastiksprengstoff des britischen Militärs gelangt ist«, erzählte meine Chefin.
» Ich werde ihn mit Sicherheit fragen, nachdem ich ihm seine Rechte verlesen habe«, erwiderte ich, bevor ich auflegte.
» Ja, nach der Letzten Ölung«, murmelte Emily, die noch saurer zu sein schien als ich.
Ich musste beinahe kichern, als ich sie anblickte. Ich erinnerte mich, dass ich sie noch drei Tage zuvor als FBI-Landei wahrgenommen hatte. Jetzt klang sie schon langsam wie ich.
» Bitterkeit und Sarkasmus im New Yorker Stil«, kommentierte ich. » Sie beeindrucken mich immer mehr.«
Beide Seiten der engen Querstraße im Herzen von Chelsea waren mittlerweile abgesperrt, doch selbstverständlich strömten immer mehr Schaulustige herbei, um einen Blick zu erhaschen. Die Szene wirkte wie ein Straßenfest, Gaffer hingen an ihren Fenstern auf der anderen Straßenseite, standen mit Ferngläsern auf den Feuerleitern, spähten von den Dächern herab. Hatten sie noch nie was von Sprengstoff gehört?
Die Zeit hatte nicht gereicht, um mein Telefon in die Tasche zu stecken, als meine Chefin erneut anrief.
» Mike, es gibt … o Gott … was Neues. Suchen Sie sich einen WLAN-Anschluss, und rufen Sie die Seite Twitpic auf. Dort gibt es einen aktuellen Podcast mit dem Titel ›Machtübernahme in der Schule‹.«
» In der Schule?«, rief ich.
Ohne die Aus-Taste zu drücken, stürmte ich mit Emily in den FBI-Transporter und tippte auf einem der Laptops die Website ein.
Ich öffnete den Link.
» Sagen Sie mir, dass das eine Ente ist«, flehte Emily, die mir über die Schulter spähte.
Es war keine Ente. Mein Atem stockte.
Auf dem Bildschirm war ein Foto von Mooney zu sehen. Er stand auf der Bühne einer Sporthalle, in einer Hand ein Megaphon, in der anderen eine Waffe. Die Mündung der Waffe drückte er einem anderen Mann in Anzug an den Kopf. Einem Lehrer? Die Halle vor ihm war voll mit Schülern, die Blazer ihrer privaten Highschool trugen.
Unbändige Wut erfasste mich beim Anblick des Mannes und der erschrockenen Jungen. Das war’s. Mooneys letzter Auftritt. Ich bemerkte eine große Tasche neben ihm. Die Sprengstoffexperten hatten gesagt, dass ein Pfund PE 4 einen Lastwagen sprengen könnte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, welchen Schaden sechs Kilo anrichten konnten.
» Wurde vor fünf Minuten gesendet. Es ist echt«, sagte meine Chefin.
» Welche Schule?«, rief ich.
» In den letzten Minuten gab’s drei Anrufe in der Notrufzentrale von Müttern, deren Söhne die St. Edward’s Academy an der Upper East Side besuchen. Die Jungs haben per SMS geschrieben, dass während einer Veranstaltung, bei der die Basketballer angeheizt werden, ein
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