Sühnetag - Patterson, J: Sühnetag - Worst Case
bewaffneter Mann die Turnhalle betreten hat.«
Ich ließ den Kopf sinken, bis er praktisch zwischen meinen Knien verschwand. Jetzt hatte unser Mörder eine ganze Schule in der Hand. Unser schlimmster Albtraum wurde wahr.
» Welche Schule?«, fragte Emily und zuckte zurück, als ich mit der Faust gegen die Wand des Transporters schlug.
» St. Edward’s. Es ist eine private Highschool für Jungen nahe der Park Avenue. Die Söhne der reichsten New Yorker besuchen sie.«
» Vor Ort treffen schon Streifenwagen ein«, meldete meine Chefin. » Nichts wie hin mit Ihnen.«
82
Eine lange Reihe gelber Taxis wischte an unserem Fenster vorbei, als wir auf die Park Avenue einbogen. Fußgänger und uniformierte Portiers standen wie erstarrt unter den Markisen und blickten uns erschrocken hinterher. Ich weiß nicht, was lauter war, unsere Sirenen oder das Rauschen aus dem Funkgerät, auf dem sich alle Notrufe aus der Stadt zu bündeln schienen.
Schlitternd blieben wir neben der Armada schwarzer Chevy Suburbans stehen, die gegenüber der East 81 st Street Stellung bezogen hatten.
Die Geländewagen gehörten zur gefürchteten Antiterroreinheit des New York Police Department. Das als Spezialeinheit fungierende Team aus Polizisten war hinter Briefkästen und geparkten Fahrzeugen positioniert und hatte die Gewehre auf ein imposantes Schulgebäude im gotischen Stil einen halben Block entfernt gerichtet.
Neben uns hielt quietschend ein Bentley Continental. Ein schicker Mann mit silbergrauem Haar, Nadelstreifenanzug und glänzenden Hosenträgern sprang heraus und ließ die Tür offen stehen. Als er versuchte, eine Absperrung zu überrennen, hielt ihn ein Polizist mit ausgestreckten Armen auf.
» Lassen Sie mich durch. Mein Sohn ist Schüler an der St. Edward’s. Er ist da drin!«, rief er, während er mit dem Polizisten rang.
Eine spindeldürre Frau mit Jackie-O-Sonnenbrille stand bereits an der gegenüberliegenden Seite neben einem Range Rover Westminster samt uniformiertem Chauffeur. Ihre diamantengeschmückte Hand bedeckte ihren Mund.
» Bitte«, flehte sie mit russischem Akzent den in ihrer Nähe stehenden Polizisten an. » Er heißt Terrence Osipov. Bitte, wo ist er? Er geht in die siebte Klasse.«
» Wie exklusiv ist diese Schule noch mal?«, fragte Emily, die verblüfft auf die Klunker an der Hand der Frau starrte.
» Der Kindergarten der St. Edward’s kostet laut der letzten Ausgabe des New York Magazine dreißig Mille. Die Schule ist praktisch nicht nur so teuer wie Harvard, man kommt noch schwieriger rein.«
Der jugendlich wirkende, schwarze Revierleiter schickte ein paar Polizisten unter die Markise eines Wohnhauses auf der Nordseite der Straße.
» Wir haben mit dem Sicherheitschef gesprochen«, berichtete er. » Er meinte, der Spinner betrat vor etwa einer halben Stunde die Schule und wollte zum Zulassungsbüro. Er ist offenbar im Besitz einer Waffe und hält sämtliche Schüler und Lehrer in der Turnhalle gefangen. Dort wurden die Basketballer vor ihrem nächsten Spiel angefeuert. Die gesamte Schule ist dort versammelt.«
» Als Erstes müssen wir den Block evakuieren«, verlangte Tim Curtin, der Sprengstoffexperte, der hinter mir eintraf. » Wenn er den Plastiksprengstoff an der richtigen Stelle einsetzt, könnten die Gasleitungen hochgehen.«
Der Chef des Geiselbefreiungsteams, Tom Chow, betrachtete das Gebäude durch ein Fernglas, als ein Hubschrauber der New Yorker Polizei mit wummernden Rotorblättern auf dem Streifen Himmel oberhalb der Kalksteinfassaden auftauchte.
» Wir müssen nach Vorschrift vorgehen«, sagte er. » Alle Fluchtwege absperren. Schusspositionen auf den umliegenden Gebäuden einnehmen. In einem gepanzerten Fahrzeug mit einem Telefon für den Geiselnehmer vorfahren. Das Telefon hineinwerfen und die Verhandlungen beginnen. Wir brauchen den Lageplan des Gebäudes.«
» Klingt gut«, rief Emily über den ohrenbetäubenden Rotorlärm hinweg. » Außer dass Mooney bislang völlig kaltblütig ist. Ich glaube keine Sekunde lang, dass er verhandeln will.«
Eine Polizistin brachte eine ältere Frau mit aschfahlem Gesicht zu uns.
» Captain«, sagte die Polizistin. » Das ist die Schulsekretärin. Sie hat den Kerl gesehen, der die Jungs gefangen hält.«
» Er hat Webb, den Trainer, getötet«, brachte sie schluchzend heraus. » Er hat Webb ins Gesicht geschossen.«
Damit war die Sache klar. Er hatte bereits zu schießen begonnen. Die nur allzu bekannten blutrünstigen Fernsehbilder
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